Bretter, die die Welt bedeuten

Bielefeld am Netz. Globale Kommunikation Über Elektro-Gehirne via Telefon-Netz Ober die angereicherte Auskunftnummer 171188. Mit den Mailboxen lassen wir uns auf einen Moloch ein. Bionic will die positive organische Dynamik hineinbringen.

VON BERND KEGEL

Der Bielefelder "FoeBud", der ,Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs "hat in der Galerie Art d'Ameublements" von Rena Tangens und padeluun in der Bielefelder Marktstraße "Bionic" installiert, eine Mailbox. Sie wird verwaltet durch die "Bielefelder Mailbox AG", (Arbeitsgemeinschaft im FoeBud.)

"FoeBud" und nun "Bionic" sind Versuche, die Arbeit von "Art d'Ambeublement" zu erweitern. Modernste Kunst" zu praktizieren und zu fördern hat sich die Galerie zur Aufgabe gestellt. Da führt kein Weg vorbei an modernster Technik«.

Die Kommunikation selbst wird hier als Kunst(werk) betrachtet. Mailboxen an sich haben nicht unbedingt damit zu tun. (Siehe nebenstehenden Text). In Bielefeld können modernste KunstliebhaberInnen nun bei der "Bielefelder Mailbox AG "ein Konto einrichten - also erstmal mit dem eigenen Computer über Modem 171188 anwählen und hinein ins Vergnügen. (Einstieg zur Zeit 50 DM). Geld, richtig normales Geld, wird akzeptiert. Das wird je nach erfolgtem Zugriff auf die Angebote der Box abgetragen. Denn der Betrieb kostet Geld, "Bionic" dient keinen kommerziellen Interessen: es' funktioniert eher wie ein Club. Auf dem Konto steht der Mitgliedsbeitrag.

Nun können Sie an verschiedenen schwarzen Brettern in der Box lesen - wie eine große Anschlagstafel voller Zettel, die Ihnen, ständig auf dem aktuellen Stand, in den häuslichen Elektro-Briefkasten gelegt wird,

Was gibt es dort zu lesen? Auf lokaler Ebene hat z.B. das Umweltzentrum ein Mitteilungsbrett installiert. Aber auch andere Abteilungen gibt es, thematisch aufgefächert: von Medizin über Verkehr, Umwelt, Kirche, mit Angeboten und Nachfragen bis hin zu den unvermeidlichen Informationen zum Medium selbst. Nach und nach wird sich das ganze ausdehnen. Denn jede/r kann schließlich selbst "Zettel" aufhängen - und unter Umständen eigene Bretter eröffnen. Für die müssen sich allerdings "Verwalter" finden lassen, wie für alle anderen Bretter auch.(Bionic heißen so die Verwalter, die woanders ganz spacig "SysOps" genannt werden.)

Die Service-Leistungen der Mailbox multiplizieren sich, denn Bionic ist an das "Zeberus"-Netz angeschlossen, in dem z.Zt. rund 70 Mailboxen bundesweit verknüpft sind.

"FoeBud" ist der Bielefelder Computer-Club, der eigentlich keiner sein will, weil er sich nicht als Forum nur für Computerfreaks" versteht. Über die "Public Domain", die regelmäßig im Bunker Ulmenwall stattfindet, bemüht er sich, neue Aspekte der elektronischen Medien aufzuzeigen und zu diskutieren. Themen wie künstlerische Datenbanken; künstliche Dummheit; neuronale Netze, werden behandelt. (Der "FoeBud" trifft sich dienstags ab 19 Uhr im Extra" (Siekerstraße) - sozusagen komplementär zur Arbeit am Bildschirm. Hier soll es (auch) um andere Probleme gehen als die, die im Chip stecken.)

"Bionic" soll die Station sein, in der Computer und DFÜ (Datenfernübertragung) intelligent genutzt werden. Eine interaktive Medienkunst ist angestrebt, die die Bedingungen der menschlichen Umwelt miteinbezieht und (möglichst) zum Besseren verändert. Über eine weiträumlich vernetzte Verständigung. Das alte Briefeschreiben, und gleichzeitg das Prinzip der Konferenzschaltung. Eine kollektive Austauschebene, wie es sie bisher nie gab. Ich hänge einen offenen Brief aus, erzähle etwas. Es geht dir durch den Kopf, und du machst was draus ... Irgendwer kommt dazu und fügt seinen Kommentar hinzu - widerlegt, ergänzt, schimpft, lobt. Die Kunst der Kommunikation: eine soziale Plastik wird geformt. Das jedenfalls ist der utopische Gedanke.

Stadtblatt, 20. Juli 1989