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TAZ, 30.11.1995

Schirm & Chiffre

Netzsexisten, wir kriegen euch!

Männer dominieren auch im Globalen Dorf. Und das, obwohl Frauen für die digitale Kommunikation viel begabter sind

Vor kurzem beklagte eine Rednerin auf der Typographiemesse Fuse den Verlust einer weiblichen Domäne. Seit Computer und Textverarbeitungssysteme den Markt penetrieren, wie das sinnfälligerweise im Slang der Marketingstrategen heißt, hauen statt Sekretärinnen und Stenotypistinnen immer mehr Männer in die Tasten. Sie machen, so wird geschätzt, 80 bis 90 Prozent der Menschen in elektronischen Netzwerken aus.

Angesichts dieser männlichen Dominanz über die Kommunikationskanäle von morgen verständigte man sich in der letzten Nummer der Berliner Frauenzeitschrift Blau über die Situation von Frauen-Mailboxen und -Netzen. Blau ist ab sofort in den bundesweiten Frauen-Netzen "Woman" (Bestellung via blau6connecta.zerberus.de) und "FemNet" sowie innerhalb der digitalen Mauern der Internationalen Stadt zu finden.

Rena Tangens, Mitbegründerin der //BIONIC Mailbox, macht als Problem weniger die mangelnde Präsenz von Frauen in den Netzen aus als ihre fehlende Sichtbarkeit. Während Männer sich schnell dazu berufen fühlen, ihre Meinung in öffentlichen Foren darzulegen, neigen Frauen eher dazu, sich direkt mit ihren Gesprächspartnerinnen per E-Mail zu verständigen, also nichtöffentlich zu kommunizieren, so die Beobachtung der langjährigen Online-Aktivistin.

Eine weitere Ursache fraulicher Unsichtbarkeit liegt in der simplen Tatsache begründet, daß Usernamen nur selten Aufschluß über das Geschlecht der Person am anderen Ende der Leitung geben. Was wiederum den Vorteil hat, daß Stereotype in den elektronischen Umwelten kein günstiges Biotop vorfinden. Auch sich immer wieder reproduzierende männliche Taktiken zur Errichtung von Gesprächsdominanz wie lautes Sprechen oder das Unterbrechen von Redebeiträgen anderer haben in dem auf dem geschriebenen Wort basierenden Bulletin Boards keine Chance, meint Tangens.

Die Frauen von Woman (Woman only Mail and News) und FemNet haben mit der Vorstellung von Mailboxen und Netzen als diskriminierungsfreien Zonen allerdings Probleme. Sobald Frauen als solche erkennbar sind, seien sie mit denselben Hindernissen und Unterdrückungsmechanismen wie im wirklichen Leben konfrontiert. Sexistische Äußerungen seien auch im Netz an der Tagesordnung, die Idee vom egalitären Charakter der neuen Online-Medien also nichts als eine schöne Illusion.

Mit der Vernetzung von Frauenmailboxen können dagegen ganze Territorien des Globalen Dorfes von Frauen besetzt, kann die Kommunikation zwischen lokalen Gruppen beschleunigt und können Online-Archive mit frauenrelevanten Texten eingerichtet werden.

"We'll dominate the screens", heißt es an anderer Stelle in der Blau. Damit sind in diesem Fall zwar Kinoleinwände als Projektionsflächen für das Lesbenfilmfest gemeint, es könnten aber genausogut Bildschirme sein. Oder sollten vielmehr, wenn man der Programmdesignerin Tangens glauben will. Denn Frauen verfügen über ein Kapital, das mehr als alles andere auf den Informationsmärkten und in den virtuellen Gemeinschaften der Zukunft benötigt wird: sprachliche Kompetenz und kommunikative Fähigkeiten wie aktives Zuhören oder das Sich-hinein-versetzen- Können in das Gegenüber. Fähigkeiten also, die traditionell bei Mädchen gefördert werden, während der typische Mann bekanntlich mit seinem Schraubenzieher denkt.

Es wird nicht darauf ankommen, wer über die Tastatur herrscht, sondern wer mit ihr etwas Produktives anzustellen weiß. Und Sysopin hört sich sowieso besser an als Stenotypistin.
Ulrich Gutmair

tageszeitung, 30. November 1995

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