Vermißt wer ein Ohr? Dieses kam auf elektronisch dunklen Wegen in unsere Box.

FERNMELDEANLAGEN

Draht im Ohr

Fast ohne Aufsehen ist den staatlichen Organen kürzlich ein Ohr abgefallen. Wenn auch nur vorübergehend. Um ein Haar nämlich hätte gegolten, was eine neue Fernmelde-Anlagen-Überwachungs-Verordnung seit dem 18. Mai zur Pflicht machen wollte: daß jeder Anbieter von Telekommunikation auf eigene Kosten einen Überwachungszugang ins System ermöglicht. Aber das allumfassende TeleKommunikationsGesetz verlor auf dem Beratungsweg an Schub. Erst im Juni kommt es endgültig im Bundestag an - und vorher telekommunizieren die von rechts Betroffenen noch einmal unabhörbar mit der Öffentlichkeit.

Zum Beispiel die Bielefelder Mailbox-Künstler von der BIONIC, der Bremer Datenschutzbeauftragte und die gesamt Frühjahrskonferenz des bürgernahen "Computernetzwerks Linksysteme". Tenor der TeleKommunikationsPraktiker: Datendienste seien prinzipiell kein Telefon. Und was bei den MobilfunkNetzen nicht mehr zu verhindern ist (jedes muß prinzipiell abhörbar sein) würde schon finanziell die Klein-Betriebe der Daten-Kuriere ruinieren. Politisch sowieso, wenn sie auch noch ihre Kundenlisten auf bloße Anfragen den Behörden übergeben müßten. Mindestens aber müßten die Auskunft ersuchenden Stellen auch die Kosten dafür tragen. Die sind schon für ein offenes Telefon hoch (ca. 1 Million für ein Mobilfunknetz im Jahr), aber ein Programmierer der BIONIC etwa, der die boxeigenen Verschlüsselungen knacken sollte, die sämtliche Kundenpost automatisch vor fremden Blicken abschirmt, brauchte länger und käme teuerer. Da ist noch Beratungsbedarf.

Der kleine Abhörratgeber: Computer, Telefone, Kamera, Richtmikrophone. incl. Verschlüsselungsprogramm. Edition ID-Archiv, Berlin/Amsterdam, 144 S., 20 ,- DM

Ultimo, 03. Juni 1996