Pressebeobachtung zum Thema Videoüberwachung

»Ein Stück Lebensqualität wiederbekommen«

Bild: Kameraüberwachung während der Pilotphase am Ordnungsamt im Ravensberger Park

Die große Mehrheit der politischen Mandatsträger ist für die Kameraüberwachung im Ravensberger Park und am Jahnplatz, selbst PDS-Ratsherr Albert Heidinger. Kritik kommt vor allem von den Grünen und von den Datenschützern.

Von Manfred Horn

»Mit dieser Landesregierung wird es in NRW keinen Überwachungsstaat geben«, erklärte NRW-Innenminister Fritz Behrens (SPD) vergangene Woche. Nun ist es aber eine Frage der Perspektive, wo ein Überwachungsstaat anfängt. In Bielefeld jedenfalls werden in Kürze auf Grundlage des im vergangenen Jahr geänderten NRW-Polizeigesetzes die Kameras im Ravensberger Park wieder angeschaltet und Teile des Jahnplatzes überwacht.

Projekt Videoschutz läuft weiter

Dies hat der Hauptausschuß und die Bezirksvertretung auch politisch beschlossen, obwohl rein rechtlich nur der Polizeipräsident darüber zu entscheiden hat, ob und wo Kameras im öffentlichen Raum installiert werden. Durch den Schulterschluß von Politik und Polizei will man aber der seit dem Jahr 2000 bestehenden Kooperationsvereinbarung namens »Videoschutz Ravensberger Park« neues Leben einhauchen. Auch die Überwachung, die moBiel am Jahnplatz vornehmen will, trifft auf große Zustimmung in den politischen Gremien, obwohl nach der Rechtsauffassung von moBiel und Stadt hier auch moBiel hätte alleine entscheiden können.

Nach Abschaltung der Kameras im Park, weil das landesweite Pilotprojekt im März 2002 ausgelaufen war, und nach einer überwachungsfreundlichen Veränderung des Landespolizeigesetzes im Sommer 2003 bahnten wichtige politische Meinungsmacher wie der Ordnungsdezernent Rainer Ludwig (BfB) das Thema neu an. Der dachte auch schon an, neben der Überwachung der Haltestellen und U-Bahn-Aufgänge von moBiel gleich den ganzen Verkehr auf dem Jahnplatz mit zu überwachen. Davon ist in der aktuellen Verwaltungsvorlage aber nichts zu lesen, was nicht heißt, dass das Thema perspektivisch vom Tisch ist.

PDS-Vertreter stimmte Überwachung zu

Zu den Befürwortern von Videoüberwachung machte sich auch die PDS. In der Bezirksvertretung-Mitte stimmte Albert Heidinger, PDS-Vertreter, für die beiden Überwachungsmaßnahmen auf dem Jahnplatz und im Ravensberger Park. Nicht, ohne gleich zu vermerken, dass dieses nicht die Meinung der Partei sei. Sein Hauptargument: Durch Videoüberwachung werde den Leuten die subjektive Angst genommen. »Das Entscheidende ist, dass die Leute ein Stück Lebensqualität wiederbekommen«. Dies bezieht er in der Hauptsache auf den Jahnplatz. Sein Motto: Wenn's den Leuten hilft, bin ich dafür. Er wisse dabei, dass die subjektiven Ängste »geschürt« seien und das Videoüberwachung nicht die beste Prävention gegen Verbrechen sei.

»Es ist wichtig, den Placebo-Effekt deutlich zu machen und die Diskussion neu anzufrangen«, sagt Heidinger dem WebWecker. Er spekuliert darauf, dass sich die Videoüberwachung in der Praxis als nicht kriminalitätssenkend herausstellt und man dann anfangen könne, aber alternative Präventionskonzepte nachzudenken, nämlich wie eine Angebotsstruktur für Jugendliche aussehen könnte, um sie von der Straße zu holen. Außerdem plädiert Heidinger dafür, die Diskussion tiefer zu hängen: »Kameras hängen inzwischen überall. Auch das Aufnehmen von Autonummern an Straßen ist nichts Neues«. Mit der Aussage »Auch wenn inzwischen fast überall Kameras hängen, bleibe ich nicht fern«, habe Dezernent Ludwig »nicht ganz unrecht«.

Der Kreisvorstand der PDS hingegen stellt sich konträr zu der Meinung seines Abgeordneten und Protest gegen die geplante Videoüberwachung an. Die Stadt habe keine Argumente, nur Ideologie. »Wo ist der Kriminalitätsschwerpunkt, den es sichern gilt?« Protestaktionen seien vor dem CDU-Büro geplant, da die PDS hier die Hauptverantwortlichen für die Bielefelder Überwachungsmaßnahmen ausmacht. Im Rahmen der Protestaktion wolle man das CDU-Parteibüro mit Videokameras überwachen.

Grüne: Ravensberger Park kein Kriminalitätsschwerpunkt

Dem widersprechen innerhalb des stadtparlamentarischen Spektrums einzig die Grünen heftig. Sie beziehen ihre Kritik auf die Wiederaufnahme der Überwachung im Ravensberger Park. Die von der Polizeiführung aufgeführten steigenden Deliktzahlen seien so nicht richtig. Im Vergleich zum Jahr 2001 ist die Zahl der Straftaten 2002 leicht abgesunken, auch für 2003 wird keine wesentlich höhere Zahl erwartet. Im Vergleich zur Gesamtzahl der Delikte in Bielefeld machten die erfassten Straftatbestände im Ravensberger Park lediglich 0,3 Prozent aus, von knapp 26.000 Straftaten in 2002 entfallen circa 70 Delikte auf den Ravensberger Park. Hierbei dennoch von einem Kriminalitätsbrennpunkt zu sprechen, sei mehr als gewagt, erklärte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer und Ratsmitglied Klaus Rees.

Noch problematischer sei die Argumentation mit der von der Polizei aufgeführten »Kriminalitätsdichtezahl«, hinter der sich nach Aussagen der Polizei das Verhältnis der festgestellten Straftaten zur Gesamtfläche der Stadt verberge. Das bedeute, dass die Gesamtzahl der Straftaten ins Verhältnis zur Gesamtfläche der Stadt - inklusive land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen, Teiche und Bäche - gesetzt und daraus die genannte Zahl ermittelt werde. »Dass diese Zahl in bebauten Bereichen - schon allein aufgrund der Tatsache, dass dort Menschen leben - höher ausfällt als in unbebauten, dürfte nicht weiter verwundern«, stellen die Grünen hier fest. Belastbar sei diese Zahl nicht. Genauso gut könnte man eine Verhältniszahl aus der Zahl der Straftaten und der Einwohnerzahl der Stadt bilden und könnte dann den Schluss ziehen, dass bei einer Straftatenzahl von circa 260.000 pro Jahr nahezu jeder Bürger der 329.000 Einwohner zählenden Stadt Bielefeld für eine Straftat verantwortlich sei.

Auch das dritte Argument , eine Erhöhung der festgestellten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nach Beendigung der Videoüberwachung im letzten Jahr, lassen die Grünen nicht gelten. Denn schließlich schreibe die Polizei in ihrem Jahresbericht 2002 selbst, dass »durch intensive polizeiliche Maßnahmen nach Abschalten der Kameras Delikte des Drogenhandels vermehrt aufgedeckt werden konnten«. Mehr Polizeieinsätze bedeuten schlicht auch höhere Strafzahlen.

»Der Park war nie ein Kriminalitätsbrennpunkt und die neuen Zahlen der Polizei zeigen, dass er auch keiner geworden ist nachdem die Kameras abgebaut wurden«, ist sich Klaus Rees sicher. Die Begründungen der Polizei seien weder plausibel noch stichhaltig. Rees kündigt an: »Sollte der Polizeipräsident dennoch die Wiederaufnahme der Videoüberwachung betreiben, so werden wir dies durch das Innenministerium und die Datenschutzbeauftragte des Landes überprüfen lassen«.

Es geht nur um Machtpolitik

Außerhalb der parlamentarischen Debatte streitet der Bielefelder Verein FoeBuD seit Jahren heftig gegen Kameras im öffentlichen Raum. Klar, dass für den Datenschutz-Verein, der auch jährlich die Big-Brother-Awards vergibt, die Wiederaufnahme der Kameraüberwachung im Ravensberger Park durch nichts zu rechtfertigen ist. Schon vor dem Anschalten der Kameras in der Pilotphase habe es einen Rückgang der Straftaten im Ravensberger Park gegeben. Dies belegt die Polizeistatistik.

Die Begründung, die die Polizei anführe (vergleiche diesen Artikel), nämlich dass dies auf einen »Placebo-Effekt« zurückzuführen sei, teilen sie nicht. »Kriminalität ist von ganz anderen Faktoren abhängig. Bezogen auf die Drogenszene ist die Attraktivität der Drogenhilfe entscheidend«, sagt Rena Tangens vom FoeBuD zum WebWecker. Gebe es ein ansprechendes Angebot für Drogenabhängige, inklusive der Alkoholabhängigen, dann gingen die Leute dahin; ansonsten würde man sie halt im Park antreffen. Die schon vor der Überwachung in den Jahren 2001 und 2002 zurückgegangenen Fallzahlen ließen sich auch damit erklären, dass der Ravensberger Park im Jahr 2000 umgestaltet worden ist. Damals wurden Sträucher zurückgeschnitten, mehr Beleuchtung installiert - mit Hilfe von Expo-Geldern.

»Im Ravensberger Park passieren vor allem Milieudelikte, wo sich Leute aus der dortigen Szene gegenseitig beklauen. Da werden nicht alten Omas die Handtaschen geraubt«, ergänzt padeluun vom FoeBud. Auch die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz seien in der Regel nichts anderes als der Konsum von Haschisch. Für ihn ist die Wiederaufnahme der Videoüberwachung ein »ideologisch motiverter Zahlenvodoo«. »Die Zahlen sind insgesamt anzuzweifeln. Auch während der Pilotphase gab es keine wissenschaftliche Begleitung«, sagt padeluun. In Wahrheit ginge es nicht um Kriminalitätsbekämpfung, sondern um die Verdrängung unverwünschter Randgruppen.

Eigentlich seien in den vergangenen Jahren bereits alle Sachargumente ausgetauscht, weiß Tangens. Landesinnenminister Behrens lasse Videoüberwachung zu, um bei der Bevölkerung als Law-and-Order-Mann zu punkten. »Dieses Feld will man nicht der CDU überlassen«, schätzt padeluun ein. Paradox sei das SPD-Argument, Videoüberwachung einzuführen, um weitere Videoüberwachung zu verhindern. Für den Verein FoeBuD ist die geplante Überwachung am Jahnplatz und im Ravensberger Park jedenfalls der Einstieg in weitere Videoüberwachung. Dabei gebe es weit und breit keinen Kriminalitätsschwerpunkt, und schon mal gar nicht in Bielefeld. padeluun sieht dahinter nur ein einziges Motiv: »Hier geht es um Machtpolitik«.

Webwecker Bielefeld, 20. Januar 2004
Original: http://webwecker.dev.iquer.net/servlet/is/17659/