Die Zukunft: Computer brauchen keine Bildschirme und Tastaturen mehr. Die Bilder erden direkt mit Elektroden ins Bewußtsein gespielt - die Steuerung des Rechners erfolgt ebenfalls mit dem Gehirn, durch bloße Gedankenübertragung. Die Hacker nennen sich »Cyberpunks«, und um sich durch die globale Daten-Matrix zu bewegen, reichen ein paar Elektroden auf der Stirn. Das Gehirn ist ein Peripheriegerät des Computers, der »Cyberspacc«, die Welt in den Chips, genau so real wie der klägliche Rest. So steht es in dem Roman »Neuromancer« von William Gibson.
Als sein Buch herauskam, hatte Gibson nach eigenen Angaben noch nie einen Computer berührt. Wie seine anderen Bücher war das Werk auf einer elektrischen Schreibmaschine entstanden. Die Gedanken von einer direkten Verbindung Chip - Gehirn allerdings begannen, in den Köpfen von Freaks und Computertechnikem Blasen zu schlagen. Es gibt - vorerst in den Vereinigten Staaten - bereits eine regelrechte Cyberpunk-Bewegung, mit eigener Musik, eigenem Outfit und allem, was sonst noch dazugehört Technologisch
braucht es für die Realisierung des Cyberspace allerdings noch viel Zeit, obwohl zumindest die etwas pragmatischer eingestellten amerikanischen Wissenschaftler mit Hochdruck und riesigen Etat daran herumforschen. Die Idee, Gehirnströme mit Computern zu verarbeiten, ist nicht neu. Schon in den Siebzigern hatten findige Köpfe das »Yoga des Westens« entwickelt: Biofeedback. Die »Brainmachines« machten Körperfunktionen auf dem Bildschirm sichtbar, etwa den Herzschlag oder den Anteil langsamer Alpha-Wellen im Gesamtspektrum des Gehirns - als Maß für die Entspannung des angeschlossenen Menschen. Mit einiger Übung konnte dieser Mensch dann zum Beispiel eine kleine Rakete auf dem Bildschirm steuern, die sich je nach Gehirntätigkeit bewegte und so lernen, sich bewußt zu entspannen. Wie bei Yoga-Übungen, nur eben schneller, für jedes westliche Gehirn greifbar und deswegen garantiert erfolgreich.
Von dieser »Alphawellenjagd« ist mm dank der »Neuromancer-Vision abgekommen: Hirnströme sollen gezielt verarbeitet, quasi in Gedanken zurückverwandelt, und ebenso gezielt beeinflußt werden. Die Forschung in diese Richtung kann schon ein paar handfeste Ergebnisse vorweisen, glücklicherweise noch Meilen von der Realisierung des Cyberspace entfernt. Augenbewegungen lassen sich mittlerweile per Gehirnelektrode und Computer sehr genau verarbeiten. Für das amerikanische Militär wurde mit Hilfe dieser Technik eine automatische Zielvorrichtung entwickelt, die an ein Geschütz gekoppelt werden kann. Damit werden in Zukunft wohl die leidigen Zielübungen auf Pappkameraden und Schrottpanzer überflüssig: der Kanonier braucht den Feind nur noch scharf anzugucken -wumm. kaputt.
Eine andere Vorrichtung erfreut sich wegen des Showeffekts in den USA zur Zeit steigender Beliebtheit Zum »Autodesk«-Systern gehört eine Brille, in die zwei Miniatur-Monitore eingebaut sind, und ein »Daten-Handschuh«, der die kleinste Fingerbewegung abtaste und einem Computer übermittelt. Wer sich anschließt, kann mittels Handzeichen durch eine perfekt simulierte kybernetische Welt wandern, etwa als Architekt durch sein cornputer-designtes Haus, als Städtcplaner, durch selbstentworfene Straßen, oder einfach als Neugieriger.
Fernab von praktischer Verwendbarkeit und trockener Naturwissenschaft experimentieren Bernd von der Brinken und Mike Weber mit dem, was das menschliche Gehirn an elektromagnetischen Strahlen hergibt. Als sie letzten Sonntag ein pur Ergebnisse präsentierten, war der Bunker Ulmenwall gerammelt voll.
Als Versuchsperson findet sich praktischerweise jemand mit Stirnglatze und glatter Kopfhaut in der ersten Reihe. Nachdem die Elektroden an seinem Schädel festgeklebt sind, flattern rote Zickzack-Kurven über den aufgestellten Bildschirm. »Schau mal geradeaus. Jetzt nach rechts.« Jedesmal, wenn der Proband die Blickrichtung wechselt zuckt die Kurve sichtbar nach oben. Mit einer anderen Elektrode werden Signale des Sehzentrums aufgenommen. Nach einer Augenbewegung Wißt sich hier so etwas wie das elektrische Echo der Bildverarbeitung in der Großhirnrinde abtasten, das später, wenn die Meßverfahren ausgereift sind, gezielte Reaktionen beim Computer hervorrufen soll. Geplant ist zum Beispiel die graphische Bedienung von Datenbanken, ähnlich dem Herumstöbem in einem unbekannten Raum, und die Verbindung mehrerer Gehirne mittels Datenfernübertragung.
Im Moment reagiert der hochempfindliche Himstrorn-Verstärker Hordings fast nur auf die Störstrahlen der überall herumstehenden Computer. Anspruch auf Professionalität wird nicht erhoben. »Wir machen das eher als Künstler«, meint Bernd von der Brinken. Und alles befindet sich sichtbar noch in der Entwicklung, aber das scheint niemanden zu stören.
William Gibson übrigens, dem Autor von »Neuromancer«, ist die Realisierung seiner Visionen völlig fremd: »Es kommt vor«, gab er in einem ZDF-Interview zu Protokoll, »daß die Leute die Ironie, das, was zwischen den Zeilen steht, völlig verpassen.«