Ein Astrologe kommt zu akademischen Ehren, ein Astronom blamiert die Innung, ein mittelalterlicher Theologe hat den Computer erfunden, Umberto Eco hat alles schon vorher gewußt ... ausgerechnet in Bielefeld geben Wahnsinn und Methode kreuzweise durcheinader. Und alles bat irgendwas zu bedeuten. Oder das Gegenteil.
Der eine zählt von Paderborn aus und im öffentlichen Interesse Sterne, der andere erzählt von Freiburg aus im eigenen Interesse weiter, was ihm die Sterne sagen; beide kollidieren seit Jahren in Fernseh-Diskussionen miteinander und treffen sich demnächst auch zweitinstanzlich vor Gericht; beide lassen kein gutes Haar aneinander und wären doch beide nur ein Stäubchen in der Unendlichkeit, ballten sie sich nicht um ihren Zwist herum und bildeten, angetrieben von wechselseitiger Ablehnung, eine Zugewinn-Feindschaft zur gegenseitigen Auflagenanhebung, eine unlogisch verdrehte Kuriosität am Medienhimmel. Die ein undeutliches Licht auf die Bedeutungs-Bedürfnisse unserer unübersichtlichen Gegenwart wirft.
1987 bekam Peter Niehenke von den Bielefelder Universitäts-Psychologen einen Doktor-Titel für seine Arbeit über Kritische Astrologie; pikanterweise aber war derselbe Herr schon vorher praktizierender Astrologe und somit, milde ausgedrückt, in seiner Kritikfähigkeit etwas eingeschränkt. Umgekehrt halten viele Astrologen schon den Versuch, ihrer Tätigkeit wissenschaftlich näherzutreten für irregeleitet, weil der böse Rationalismus im Reich der kosmischen Rhythmen unangebracht sei. Dr. Niehenke hat sich also ohne Not zwischen die Stühle gesetzt, was ihn erstmal sympathisch macht.
Das sieht Dr. Reinhard Wiechoezek, Volkssternwärter in Paderborn und selbsternannter härtester Astrologie-Gegner der Republik ganz anders. Nachdem sein Antrag auf Aberkennung des Doktortitels beim Kultusminister nicht verfing, ging er heftig schimpfend in die Offentlichkeit und handelte sich mit seinen Attacken gegen den "akademischen Tiefflug" Niehenkes eine Beleidigungsklage des Betroffenen ein. Die wurde in der ersten Instanz verworfen, weil es erlaubt sein muß, daß ein Wissenschaftler einen anderen einen Nicht-Wissenschaftler nennt. Das ist durchaus in Ordnung so. Nur ob ein Astronom überhaupt irgendetwas sinnvolles über oder gegen einen Psychologen (und das ist Niehenke akademisch betrachtet ja) sagen kann, ist mindestens zweifelhaft.
Ein "Astrologie-Tribunal", das Wiechoczek im Januar 1990 veranstaltete, kochte den Streit dann weiter hoch, die Bildzeitung titelte süffisant vom "Krieg der Sterne", die Aktuelle Stunde ließ Peter Niehenke einen Bericht vom Tribunal in Grund und Boden kommentieren, RTL-Plus setzte ihn auf seinen "Heißen Stuhl" und hetzte mehrere Tribunal-Teilnehmer auf den gewieften Dr. astrol. . .. und immer wieder hackte Wiechoczek unflexibel auf ein paar banalen astronomischen Fakten herum, während Niehenke in eleganter Freistil-Argumentation mal die Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit, mal die symbolisch-psychologisehe Bedeutsamkeit seiner Astrologie verteidigte.
Das läßt ihn immer wieder wie den Sieger aussehen. Dabei hat er mit seiner Doktorarbeit den wahrscheinlich bestmöglichen statistischen Beweis gegen die Astrologie vorgelegt. Wie es der Dekan der psychologischen Fakultät, Rainer Dollase, in einem ausführlichen Gutachten zu Wiechoczeks Tribunal formulierte, hat Niehenke "eine Befragungsstudie an über 3000 Personen durchgeführt, um zu überprüfen, ob astrologische Weissagungen über den Charakter eines Menschen mit dessen Selbstbeurtellung nach einem psychologisch konstruierten (425 Fragen enthaltenden) Fragebogen übereinstimmten." Sie stimmten nicht. Sie hätten aber stimmen müssen, um den bekannten "ja-genau-Effekt" landläufiger Horoskope auf eine für Astrologen interessante Weise zu bestätigen.
Für Niehenke blieb nach seiner statistisch fehlerlosen und jedenfalls !in methodischen Teil beeindruckend fleißigen Arbeit (im wissenschaftstheoretischen Teil zwar kommt sie kaum über simples Seminar-Niveau hinaus, aber das ist für Psychologen und Astronomen allemal genug) nur übrig, an eine mediale Begabung des guten Astrologen zu glauben, um die Erfolge seiner Beratungsgespräche zu erklären. Ja sogar mit falschen Geburtsdaten hat er schon "richtige" Horoskope erstellt, beziehungsweise im persönlichen Gespräch befriedigende Charakter- und Problembeschreibungen seiner Klienten hingekriegt. Daß er trotzdem noch briefliche Gutachten ohne Ansehen der Person und astrologische Kassetten-Fernkurse vertreibt, muß er mit seinem Gewissen und seinem Steuerberater ausmachen, eine wissenschaftliche Frage ist das nicht.
Deshalb läuft auch die so naturwissenschaftlich auftrumpfende "Kritik" des Herrn Wiechoczek völlig ins Leere. Zwar macht Niehenke astronomisch ein paar kleinere Fehler, aber mit dem "wirklichen" Himmel hatten die Astrologen schon zu Wallensteins Zeiten nichts mehr am Hut. Sie verwendeten die alten babylonischen Erkenntnisse über den Tierkreis und die "Planeten" (inklusive Sonne und Mond) auf eine deutlich symbolische Weise, der auch Dr. Wiechoczeks mit viel Pomp als Astrologie-Killer hervorgezaubertes 13. Tierkreis-Sternbild Schlangenträger nichts anhaben kann. Egal was schlechtere Astrologen als Niehenke sagen mögen, sie reden in Wahrheit nicht über reale Wirkungen tatsächlicher Himmelskörper, sondern über eine Jahrtausende alte, immer wieder umgebaute Maschine zur Erzeugung von Charakter-Beschreibungen, die in ihrem Interpretationsbedarf mit Psychoanalyse, Traumdeutung oder dem Tarot weit mehr zu tun hat als mit echten Sternen. Und die Einfühlungsvermögen dringender braucht, als Laboratorien.
Seltsamerweise ist der Astrologenfresser Wiechoczek das beste Beispiel dafür. Wenn er nämlich von seinem neuen Buch Uranus lächelt über Hiroshima, das in einem obskuren Münchner Verlag erschienen ist (den nicht mal die Telefon-Auskunft kennt), sagt, "die enthaltene Gesellschaftskritik ist so brisant, daß sich ein großer Verlag nicht mit reinhängt, zumal wenn er selbst einen Großteil seines Umsatzes durch abergläubischen Unsinn erzielt", dann klingt daß so stark nach Verschwörungstheorie und Verfolgungswahn, daß man ihm eine psychologische Beratung anraten möchte.
Oder wußte er, daß der Freiburger Aurum-Verlag, in dein Niehenkes Doktorarbeit herauskam, eine Tarn-Organisation des unverdächtigen Braunschweiger Westermann-Verlags ist? Oder ist der gar ganze Streit nur inszeniert? So wie sich in Umberto Ecos Das Foucaultsche Pendel die Lektoren eines großen Verlages mit einem esoterischen Unterverlag einen Scherz daraus machen, eine unter anderem auch astrologisch abgesicherte Verschwörung zur Verundeutlichung der Welt durch eine Inflation von "Deutungs-Geschichten" zu erfinden?
War Eco je in Bielefeld? Waren Niehenke/Wiechoczek je in Bologna? Und was hat der Bielefelder Computerclub FoeBud damit zu tun? Kann es ein Zufall sein, daß der ausgerechnet zum 1. April ein paar Philosophen aus Berlin in den Bunker Ulmenwall einlädt, die nachweisen und vorrechnen wollen, daß der mittelalterliche Theologe Raimundus Lullus um 1280 den Computer erfunden hat?
An der Universität von Mallorca (ob damals da das Wetter auch schon so gut war?) entwickelte der die Idee, alles mögliche Wissen der Welt durch Kombination weniger Grund-Sätze (damals zeitgemäß allesamt irgendwie göttlicher Natur) zu erzeugen. Das funktionierte zwar nicht, aber sein Verfahren und seine Instrumente (Drehscheiben ähnlich den heutigen Benzinverbrauchs-Rechnern, Phrasen-Dresch-Maschinen oder eben den käuflichen Horoskop-Bastelkästen) lassen sich durchaus als die Anfänge der Computerei deuten. Das tun Werner Künzel und Heiko Cornelius, modellieren die lullsche Kombinations-Kunst auf einem modernen Computer nach und machen dabei sehr sonderbare Ausflüge in die Alchimie, die Astrologie, dasTarot, den Kabbalismus und andere geheime Künste. Ob das alles mit Philosophie und/oder Computerei etwas sinnvolles zu tun hat, scheint immerhin fraglich, daß das alles überhaupt nur dann etwas zu bedeuten hat, wenn sich die einen auf's Deuten verstehen und die anderen darauf einlassen, versteht sich wohl von selbst.
Ganz wie die Astrologie. Die kann nach Niehenke endgültig als etwa so unwissenschaftlich gelten wie das Gedichte-Schreiben und Interpretieren, aber eben auch als ebenso wirksam. Und genauso wenig statistisch zu widerlegen. Hauptsache, es bleibt plausibel (also intern halbwegs logisch und nicht völlig beliebig zusammenphantasiert) und macht mir einen Sinn, bzw. läßt mich einen Sinn daraus machen. Der aktivistische Aspekt im kontemplativen Haus über den venusischen Transit trotz des Mond-Quadrats gemildert vom saturnalischen Trigon ist doch mindestens so poetisch wie der schwarze Wald, der schweigend in der Gebrauchs-Lyrik herumsteht.
Ein Horoskop wird, und das ist das eigentlich spannende Grunddilemma aller Deutungs-Weisen, eben nur sinnvoll, wenn der Benutzer intelligent genug ist, damit umgehen zu können - und dumm genug, daran zu glauben. Und bei der Vorstellung, die Hersteller z.B. von Schokoladenkeksen könnten ihren Leckereien Gedichtbände beilegen, oder SAT 1 Tag für Tag 12 (oder meinetwegen 13) Kurz-Dichterlesungen veranstalten ...
Also da sind mir notlügendeSterne doch lieber.
WING
Peter Niehenkes "Kritische Astrologie zur erkenntnistheoretischen und empirisch-psychologische Prüfung ihresAnspruchs ist bei Aurum, Freiburg erschienen; Reinhard Wiechoczeks" Uranus lächelt über Hiroshima - ein gründlicher Verriß der Astrologie" hat die Münchner Arbeitsgemeinschaft für Religions- und Weltanschauungsfragen verlegt,- die Erklärung des Astrologie-Tribunals ist bei der Volkssternwarte Paderborn, Postfach 1142, zu erhalten; Rainer Dollases Stellungname zum Streit verschickt die Pressestelle der Universität möglicherweise auf Anfrage; der Lullus-Computer-Vortrag findet im Bunker am Ulmenwall um 1. April um 15 Uhr statt; die Illustrationen stammen aus dem August-TEST-Heft 1987, dem "Lexikon der Symbole" und dem Eco-Lexikon. "Das Geheimnis des Pendels entschlüsselt", beide Heyne, 1989 und 1990.
Ultimo, 1990