Fortschritt - brötchenförmig

Public Domain im Bunker: mit Schreitmaschinen zweckfrei in die Zukunft

Schreitmaschine »Edi« hat etwas Skorpionartiges, eindeutig. Er fällt fast vom Tisch, so schnell kann er laufen, obschon er aus nichts weiter besteht als aus feinem Draht (plus einem winzigen Motor). Geschickt pflückt ihn Dr. Franz Otto Kopp von der Tischkante, bevor er sich zu Tode stürzt - oder doch zumindest übel verbiegt: Dr. Kopp, Physiker vom Institut für Getriebetechnik in Hannover, ist an diesem Sonntagnachmittag zu Gast im Bunker Ulmenwall, und er hat viele seiner Geschöpfe mitgebracht: die »Techno-Insekten«.

Es ist Public Domain unterm Niedernwall. »Computerfreaks« treffen sich zum monatlichen Medienereignis, zu dem die FoeBud (»Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs«) einlädt. Diesmal heißt die Attraktion: Dr. Kopp und seine Krabbeltiere. Er führt seine Schreitmaschinen aus Draht vor, eben solche Wesen wie »Edi«, der so zart und verletzlich aussieht - und so, als habe er jetzt Angst vor den vielen vielen Leuten, die ihm zuschauen. Er möchte sich am liebsten im nächsten dunklen Loch verkriechen oder vom Tisch stürzen. So sieht's jedenfalls aus. Doch Dr. Kopp rettet das Drahtgestell dreht am niedlichen Schalter, und »Edi« hat wieder seinen Frieden.

Gugelhupf auf dem LSD-Trip

Als nächstes ist »Escudo« dran, der über den Tisch läuft bis an die Kante. Wieder muß der Meister zugreifen; einen Rückwärtsgang haben die meisten seiner Geschöpfe nicht. Deswegen streben sie so ungestüm vorwärts - auch wenns Richtung Abgrund ist. Das gibt ihnen den Ausdruck eines unbedingten (Lebens)Willen Tatsache ist: Ob auf acht oder sechs oder vier Beinen - sie schreiten, rennen, flitzen, krabbeln. Es geht um Fortschritt im ureigensten Sinne des Wortes. Sie laufen und laufen und laufen. Echte Käfer. Aber künstlich, und das hat etwas Sensationelles, ja Bahnbrechendes-. Diese Erfindungen relativieren die des Rades - und das will was heißen. Es sind Maschinen, die sich - eben nicht rollend, auf Rädern, Reifen, Ketten - vorwärtsbewegen, sondern auf Beinen, gleich organischen Wesen. An der Realisierung solcher schreitenden Maschinen haben sich Generationen von Technikern die Zähne ausgebissen. So einfach das zunächst anmutet: Aber das Gehen - erst recht auf zwei Beinen - ist, technisch gesehen, ein Wunder.

Mit diesen Schreitmaschinen bewegen sich Science-Fiction-Visionen tatsächlich in den Bereich des Realistischen: Der »Roboter« - mit Elektronen-Gehirn und künstlichen Extremitäten - könnte wahr werden. Ein großes Maß an Geist steckt in diesen Gestellen - wie in »Edi«, der jetzt wieder mit-seinen Kameraden in den Kulissen dieses high-tech-Flohzirkusses zusammensteht, als wenn nichts gewesen wäre; wie ein harmloses Dingsbums aus dem Arsenal einer Handarbeitslehrerin ... Dabei läuft er - in vollständig symmetrischen Brötchenkurven.

Dr. Kopp erklärt alles theoretisch am Overhead-Projektor, erzählt von Kurvenkonvertern, Koppelkurve und Gelenkviereck. Bei diesem Mann mit Schnäuzer, Nietengürtel, auberginefarbenem Hemd - und einer Fliege wie Riesenhuber, nur viel bunter - hört sich das so witzig an, daß ich gar nicht genug kriegen kann, obschon ich »nicht alles« verstehen, ums mal gelinde auszudrücken. »Da ist Musik drin in dieser Erfindung«, sagt Dr. Kopp, und das glaube ich ihm, sobald sich die Viecher in Bewegung setzen. Wenn sie losgelassen werden, wenn ihnen die Energie aus den Batterien in die Glieder fährt, dann bekommen sie Charakter.

20 Meter Draht, die sich zielstrebig vorwärts bewegen

»Das Pferd«, hat die Ausmaße eines Mikrowellenherdes und beim Start deutlich Schwierigkeiten; es torkelt ein wenig, doch dann geht's los. (Auf die Tischkante zu.) Das achtbeinige Etwas ist hurtig und so klein wie ein Eierschneider; das tarantelförmige Teil wirkt wie eine Gugelhupf-Form auf dem LSD-Trip ... Heiterkeit und Staunen im Publikum.

Das zwergpudelgroße Ding hat stufenlos regulierbare Fußkrallen! - und es kann damit in die Kurve gehen! »Dannemann« ist das Tier mit den diszipliniertesten Schritten; es ist so groß wie eine Herrentorte und so lebendig wie eine Nudelsuppe, die man lange genug hat stehen lassen. in ihm wimmelt es nur so von Bewegung: 20 Meter Draht, die sich zielvoll vorwärts bewegen, als wüßten sie, wohin sie wollen. Dabei ist »Dannemann. weiblich - sagt Dr. Kopp, und der muß es ja wissen. »King« ist so ein Ding - reif für den Kammerjäger. Groß wie ein Fahrradkorb, der 50 Millimeter große Schritte macht: Das bringt 25 cm Fortschritt pro Kurbelwellei Genial ist der Tortenbohrer: Ein Gerät, das ohne Mühe ein Stück Sachertorte vom Teller ziehen kann. Er geht vorwärts, bohrt sich mit der langen spiraiförmigen Nase in die Süßigkeit - und zieht sie beim Zurückgehen auf die Tischdecke. Zu welchem Zwecke auch immer.

Dr. Kopp jedenfalls findet seine Geschöpfe »herrlich nutzlos« - er hat seine Freude am »künstlerischen Effekt«. Seine Taten stehen (noch) außerhalb des Utilitaristischen. Es ist Forschen des Forschens wegen. Klar, Militär und Industrie hätten schon Verwendung für solche Dinger. Als Bombenentschärfer oder gar als »RoboCop«. Ist Dr. Kopp der Zauberlehrling, dessen Geister wir vielleicht nie wieder loswerden? Muß Dr. Kopp seinen Dürrenmatt (»Physiker«) noch mal lesen? Noch ist das Verhältnis zu seinen Wesen eher anrührend: »Ihr seid alle meine Kinderlein«. Dr. Kopp ist der »verrückte Erfinder«, wie er im Buche steht der sein(e) Spinnen ans Laufen gekriegt hat und dessen Grillen kleine Anhänger hinter sich herziehen ... wozu auch immer das gut sein mag ...

Bernd Kegel

Stadtblatt, Februar 1994