Alles prima, alles Doppelklick?

Zu Gast im Bunker: Die Künstlergruppe PONTON arbeitet mit "Van Gogh TV" an der Zukunft des Fernsehens

"Da kommt uns jetzt ein User entgegen. Der sieht aus wie so ein Starwars-Raumschiff. Hmm, warum eigentlich?« Christian Wolff, Techniker beim PONTON European Media Art Lab, Hannover, und mit Benjamin Heidersberger Gast der letzten »Public Domain« im Bunker Ulmenwall, erklärt den Cyberspace, die Welt im Computer, die hinter dem Bildschirm beginnt. Wir befinden uns in der »Service Area«, einem Multimedia-Spektakel, 1994 live gesendet im Kabelsender 3sat. Ein Netzwerk aus Computerbildern flimmerte den bundesdeutschen Medienkonsumenten entgegen. Moderatoren aus der Musik- und Kunstszene versuchten damals, für die FernsehzuschauerInnen Klarheit in die dreidimensional über den Fernsehbildschirm huschenden Objekte zu bringen. .Wer einen Computer oder ein Telefon hatte, der konnte mitmachen. konnte, Musik einspielen, malen oder diskutieren.

PONTON begannen schon 1986 mit ihren Fernsehexperimenten. Als Piratensender auf der documenta 8 nahmen sie die neue Medienwelt selbst in die Hand. Als sich zur »ars electronica« in Linz 1989 eine Zusammenarbeit mit 3sat ergab, präsentierte PONTON dann pünktlich zur documenta 1992 die »Piazza virtuale«, Fernsehen zum Mitmachen im Stil einer südländischen Piazza, auf der sich Leute treffen, um zu spielen, zu diskutieren oder zu flirten. Mit dem durchschlagenden Erfolg dieses interaktiven Fernsehprojektes hatten wohl weder die Künstler noch die Telekom gerechnet: Mit 130.000 Anrufen pro Stunde wurde das Kasseler Telefonnetz zeitweise zum Erliegen gebracht. Fernsehen interaktiv?

Ist das die Zukunft des Fernsehens? Wird in Zukunft alles, was über den Bildschirm flimmert, tatsächlich in 3D und zum Mitmachen sein? Oder leben hier nur ein paar technikbegeisterte Künstler ihre Träume von einer besseren Medienwelt aus? Benjamin Heidersberger, der erst bei der Perfomancegruppe »minus delta t« war, bevor er zu PONTON kam, ist jedenfalls noch skeptisch. Wenn »Van Gogh TV« keine öffentliche Förderung mehr bekommen würde, dann könnte es sich am Markt wohl nicht durchsetzen. Die Zukunft gehört eher dem Konsum, vertreten durch Video auf Abruf oder Computerspielkanäle, die rund um die Uhr die Sega- und Nintendo-Gemeinde befriedigen: »Die Gesellschaft entwickelt sich von einer räumlichen Orientierung immer mehr zu einer interessenorientierten Struktur. Früher war das Dorf der Bezugspunkt, heute ist es vielleicht das gemeinsame Hobby.« PONTON will das Element der Kommunikation nicht so einfach aus den Neuen Medien entlassen; für sie bedeutet interaktives Fernsehen eben mehr als die »Kauf-Mich«-Taste an der Fernbedienung. Einen Hauch von »Big Brother is watching you« hat dann auch eine Entwicklung des interaktiven Fernsehens in Österreich: Während eines Werbespots hat der potentielle Konsument die Möglichkeit, einen Chip vor die Glotze zu halten, um dann später im Supermarkt das beworbene Produkt günstiger zu erhalten. Gegenüber solchen Allmachtsfantasien der Datenautobahnkonstrukteure aus der Industrie wirken die freundlichen Künstler von PONTON mit ihrem Traum von der Kommunikation im globalen Dorf wie die Humanisten des Computerzeitalters. Es bleibt nur die Frage offen, ob sie sich werden durchsetzen können.

Jens Ohlig

Stadtblatt, 15. Dezember 1994