Sperma am World Wide Web

San Franciscos Cyberkultur behagte Bielefelder Netzwerkern nicht

»Wenn Du schon Dein Leben vor dem Computer verbringst, dann tue das in San Francisco«. So lautet das Credo eines Vertreters der dortigen Onlineszene. Im Film »Cyber City San Fr@ncisco« von Manfred Waffender wird sie portraitiert. Verbirgt sich hinter dem Schlüssel zur digitalen Welt, dem »Klammeraffen« (at, @)(1), jenem Sesam-öffne-dich in die virtuelle Welt, schon »Kultur«? Der Bielefelder FoeBuD e.V. lud am vergangenen Sonntag zur Vorführung des Films und anschließender Diskussion mit dem Filmemacher im Rahmen seiner »Public Domain-Veranstaltungsreihe in den Bunker Ulmenwall.

Kultur oder »Onlinewixerei«?

San Francisco galt gerade in den 60ern als der Ort der US-amerikanischen Gegenkultur. So war der Stadtteil Haight Ashbury weithin als das kulturelle Zentrum der Hippiebewegung bekannt. Manfred Waffender versucht nun in seinem Film, die Zentren der Cyberkultur im San Francisco der 90er Jahre aufzuspüren.

Dabei gelangt er in die Büros von »HotWired«, der größten über das Internet verbreiteten Zeitschrift. Dort hat man sich wie bei der Mutterzeitschrift »Wired« ganz der Cyberkultur verschrieben und gibt Visonären ein Zuhause. Als von ihren Visionen und der Technik Begeisterte stellen sich auch die Interviewpartner dar: Programmierer multimedialer Computerspiele, das erste Brautpaar, das seine Hochzeit mittels Datenhelm in virtuellen Welten vollzogen hat, oder sechsjährige Kinder in einer Computerschule.

Doch sind dies auch die Begründer einer neuartigen Cyberkultur? Der ebenfalls im Film zu Wort kommende Medientheoretiker Howard Rheingold widerspricht diesen Vorstellungen. Weil die Szene noch nicht über eigene Werte verfüge, wie sie es für die Gegenbewegung der 60er und 70er Jahre der Fall war, gebe es eine solche Computer-Kultur noch nicht. In der anschließenden Diskussion stellte sich heraus, daß das Bielefelder Publikum hingegen sehr wohl über feste Wertmaßstäbe verfügt. Danach haben die bunten Bilder der Virtual Reality- und Multimediadesigner nichts mit Kultur zu tun. Sie gelten bestenfalls als Kormmerz, wenn nicht als gefährlich. Ein Zuschauer erklärte den Film gar zu einem »Portrait des Elends«.

Die »schöne neue Welt« gestalten

Die Ironie des Schicksals will es, daß Waffender zwar ob der Auswahl seiner Interviewpartner in die Kritik geriet, der Film aber dennoch großen Beifall fand - wegen der »schönen Bilder«. Auch die Veranstalter bemühten sich redlich darum, dem Film jeden visionären Einschlag zu nehmen und ihn ins rechte Licht zu rücken: Als nichts als »Onlinewixerei« nämlich. Womit sich natürlich jede weitere Diskussion erübrigt. Wer möchte schon Sperma an der Kultur kleben haben. Das wär ja fast wie Blut am Kaffee. Nun mag, wer sich wie die Foebud-Mitglieder intensiv mit der Etablierung elekronischer Datennetze als ein demokratisches Medium beschäftigt, in Computeranimationen und -spielen erst einmal keine kulturellen Errungenschaften sehen. Doch weder mit Scheuklappen noch mit Totschlagargumenten ist den Möglichkeiten und den tatsächlichen Entwicklungen dieses Bereichs der neuen Medien beizukommen. Dabei wußte Manfred Waffender im Film bereits: »Es ist nicht mehr die Frage, ob wir die »schöne neue Welt« wollen oder nicht wollen, sondern wie wir sie bevölkern und gestalten werden.«

Wer sich ein eigenes Bild von der »Cyber City San Fr@ncisco« machen möchte, hat dazu am 24. März auf 3Sat Gelegenheit.

Janko Röttgers

(1) at heißt das Zeichen "@" und ist ein Teil einer InternetAdresse.

Stadtblatt, 08. Februar 1996