Wahl$treet - Hoch im Kurs

EIN BÖRSENSPIEL UM DEN MARKTWERT VON PARTEIEN

Online-Expertin Barbara Thoens zu Gast bei FoeBuD Gibt es eine genauere Voraussage zu politischen Themen, als die üblichen Meinungsumfragen? Ja, meint Barbara Thöns, ehemalige Vorsitzende des »Chaos Computer Club« und Programmiererin in der Online-Redaktion der »Zeit«. Im Rahmen der »Public Domain«, einer Veranstaltungsreihe des FoeBuD e.V., stellte sie kürzlich das Internet- Börsenspiel Wahl$treet vor. Dabei können die Teilnehmerlnnen im Internet mit echtem Geld (fiktive) Aktien von Parteien an- und verkaufen. Barbara Thöns erklärt, welche Theorie hinter Wahl$treet steckt.

StadtBlatt: Es hat in den USA und Österreich schon ähnliche Experimente gegeben. Wer spielt Wahl$treet?
Barbara Thöns: Bei allen Märkten kommen die Spieler hauptsächlich aus dem akademischen Bereich. Das liegt daran, daß die Versuche in Iowa und Österreich an Unis stattfanden, die Studierenden waren überwiegend männlich und weiß, so in dem Stil. Bei uns waren es auch Studenten, Akademiker, »Zeit« und »Tagesspiegel«-Leser. Wenige auch von Parteien. Auf jeden Fall Leute, bei denen die Voraussetzungen für Qualität der Informationen da ist. Sie haben Zugänge zum Internet, das hat ja auch nicht jeder, sie haben eine bestimmte Ausbildung und so weiter.

StadtBlatt: Kann man Händlerverhalten an der Börse überhaupt parallel zum Wahlverhalten der Menschen sehen?
Barbara Thöns: Bei Wahl$treet teilzunehmen hat wenig gemein mit dem Gang zur Wahl. Bei der Wahl überlege ich mir, was ich will, bei Wahl$treet muß ich überlegen, wie die Stimmungslage gesamtgesellschaftlich ist. Und das ist nicht leicht. Es ist schwierig, seine Vorlieben so weit zurückzudrängen, und das ist bei den Ergebnissen auch rausgekommen. Wenn man halt den Grünen nahesteht, sieht man es an den Märkten. Obwohl klar ist, daß es darum nicht geht. Da gibt es schon noch Schwächen, aber das ist eine Trainingssache. Ich glaube, daß sich da mit der Zeit eine Börsenspielkultur entwickeln wird, wenn man die Tricks raushat.

StadtBlatt: Sagen wir, Schröder hätte einen glänzenden Artikel auf dem Titel blatt der »Zeit« gehabt, würden die Aktivitäten an der Wahl$treet-Börse dann ansteigen?
Barbara Thöns: Damals bei der Wahl in Sachsen-Anhalt, als die Grünen ihren Parteitag hatten und bekanntgaben, daß der Benzinpreis auf fünf Mark steigen solle, da sind die Aktien gefallen. Solche eindeutigen Events gibt es natürlich nicht immer. Aber solche Sachen wirken sich oft krass aus, das kann man schon ablesen. Wir werten statistisch aus, wieviele Transaktionen stattgefunden haben, wieviel Geld im Umlauf ist und wie die einzelnen Aktien verlaufen.

StadtBlatt: Kann es passieren, daß die Börse crasht, daß CDU, SPD und Grüne möglicherweise überhaupt nichts mehr wert sind?
Barbara Thöns: Theoretisch ist vieles drin. Da gibt so Phänomene wie Kursüberhitzung, wie an der richtigen Börse. Das kann kurzfristig passieren, mü ßte sich aber eigentlich ziemlich schnell wieder ausgleichen.

StadtBlatt: Ist da die Tendenz, die vielen Leute, die bei Emnid am Telefon sitzen, arbeitslos zu machen?
Barbara Thöns: Ursprünglich war das wohl mal eine Hoffnung, da es weniger Verwaltungsaufwand kostet. Nun habe ich gelesen, daß sich die Euphorie wieder ein bißchen gelegt hat. Da steckt zwar einiges an Potential drin, aber das erfordert ideale Bedingungen und Lerneffekte. Die Aktivitäten an solchen Märkten müssen ja auch gelernt werden. Wie verhalte ich mich, wo kriege ich meine Informationen her. Dadurch werden ja auch die Ergebnisse immer besser. Ich habe selbst wieder gemerkt, daß ich aus Zeitmangel gar nicht so viel rumgeguckt hätte, was Wahlgeschichten anbelangt. Dadurch, daß ich gehandelt habe, habe ich mir viel mehr angeguckt. Es pusht einen, sich zu informieren. Ich glaube, das ist ein echtes Politisierungsinstrument. Das finde ich interessant daran.

StadtBlatt: Der Effekt einer angeblichen Entpolitisierung der Bevölkerung kann sich an Wahl$treet eigentlich nicht abbilden. Kann man ablesen, welche Leute gar nicht wählen?
Barbara Thöns: Auch da könnte man einen Aktienmarkt draus machen. Das wäre dann ein anderer Markt, aber das wäre durchaus möglich.

Das Interview führte Martin Klaus

Stadtblatt, 10. September 1998