Risiken im Netz

Von Ariana Mirza

Professor Dr. Klaus Brunnstein Professor Dr. Klaus Brunnstein verfügt über zwei hervorragende Charakterzüge: Er ist eloquent und charmant. Zudem verfügt der Hamburger Professor für Anwendungen der Informatik und Datensicherheit über ein profundes Fachwissen, das ihm schon zahlreiche Berufungen in nationale und internationale Gremien eingebracht hat. Sein mit Spannung erwarteter Vortrag sorgte dafür, daß die letzte Veranstaltung des Bielefelder Foebud e. V. in diesem Jahr sehr gut besucht war.

Unter die Zuhörer mischten sich auch Experten wie Günter Freiherr von Grafenreuth, prominenter Fachanwalt für Computerrecht aus München. Und sogar die Polizei bekundete Interesse. Thomas Brunst von der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten war aus Kassel angereist.

"Der Datenschutz von gestern ist obsolet!" verkündete Brunnstein provokant. Zum einen sei das Bewußtsein für die Brisanz der Weitergabe von Daten verschwunden. Zum anderen würden die Risiken des Netzverkehrs verharmlost. Die einzige Chance auf Wahrung der Privatsphäre und Sicherheit im Datenverkehr läge fortan in der Stärkung des Verbraucherschutzes.
Fakt sei, daß das Rauben von Daten, "data mining" genannt, gang und gäbe sei, ohne daß dem Einhalt geboten werden könnte, so Brunnstein. Jeder Rechner sei ein offenes Buch für interessierte Firmen und Organisationen. Zudem könne eine Person via Netz in Dateien eindringen, um sie zu verändern oder gar zu löschen.
Daß die Gefahren des Netzverkehrs derart unterschätzt werden, schreibt Brunnstein der naiven Technikbegeisterung unserer Informationsgesellschaft zu. Aber unsere Chip-Technik sei eben alles andere als sicher, behauptete der Experte, und seine Argumentation besticht. "Die excorporale Intelligenz erhält einen fatalen Anspruch auf Absolutheit", erklärt Brunnstein.

Dabei sei jeder Chip doch nur eine in Sand gebannte Überlegung, mit all ihren "menschlichen" Denkfehlern. Und diese Denkfehler entzögen sich - im Gegensatz zur nachvollziehbaren Maschinentechnik des Industriezeitalters -jeder Überprüfung. Dieser Tatsache seien sowohl die kleinen Alltagskatastrophen ("Wieso stürzt mein Computer schon wieder ab?"), als auch die großen Unglücksfälle wie der Absturz von Ariane 11 zu verdanken.
Die Jahrtausendwende, warnt Brunnstein, wird diesen immanenten Unsicherheitsfaktor bedrohlich vor Augen führen. "Wenn es dabei bleibt, daß ihr Videorecorder versagt, ist das ja nicht weiter tragisch, betrifft es aber ihren Herzschrittmacher, sieht die Sache schon ganz anders aus." Das Schlimme sei, daß eben niemand in der Lage sei vorherzusagen, was alles passieren könne. Eine besondere Gefahrenquelle stelle in dieser Hinsicht die Raketentechnik dar, die es in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion gebe.
Ist die Lage des einzelnen Bürgers somit hoffnungslos? Müssen wir uns damit abfinden, als"gläserne" Menschen zu leben? Professor Brunnstein meint, wir sollten uns von überholten demokratischen Vorstellungen lösen. Die Chance des Einzelnen läge in der Überschneidung der Privatinteressen mit denen der Industrie. Alle genannten Unsicherheitsfaktoren beträfen die Konzerne ebenso wie die Verbraucher. Keine Firma möchte ausspioniert werden oder ihre Kunden durch Unglücksfälle verlieren. Der TÜV, so erinnert Brunnstein, war auch eine Erfindung der Industrie.

Neue Westfälische, 19. Dezember 1998