Was haben der Bielefelder Hauptbahnhof und das Einkaufszentrum »Arkaden« am Potsdamer Platz in Berlin gemeinsam? Ihre Betreiber haben die Initialen »DB«: In der Hauptstadt handelt es sich um die Daimler-Benz AG, die kurz vor der Wiedervereinigung das Brachland an der Mauer spottbillig kaufte und nach der Wende einen gewaltigen Konsumtempel darauf baute. In Bielefeld ist es die Deutsche Bahn AG, die im und um den Hauptbahnhof herum ein schick aufpoliertes Bahnhofsviertel mit Boutiquen, Friseuren und Gastronomie plant. Davon verspricht sich die Bundesbahndirektion das Ende der Finanzmisere.
Die entscheidende Gemeinsamkeit von Bahnhof hier und 'Shopping Center dort: Es sind öffentliche Plätze, die in private Hand geraten. Damit gilt in ihnen privates Recht. Hausrecht: Besitzer entscheidet, wer rein darf und wer nicht; wann wo geruht, geraucht, getrunken wird. Die Probleme darzustellen, die sich aus der fortschreitenden Privatisierung öffentlichen Raumes ergeben, trat die Berliner Autorin Bärbel Jäschke im Bunker Ulmenwall bei der »public domain« an.
Die Atmosphäre ist bedrückend: Bärbel Jäschke, schwarz gekleidet und maskiert, empfängt ihre Gäste gleich am Eingang mit einer vier Seiten starken Hausordnung. Knapp gibt sie die Anweisung: »Lesen Sie und schwatzen Sie nicht mit Ihrem Nachbarn!« Später am Rednerpult wirft sie stechende und für einen Erstkontakt viel zu lange Blicke durch die Löcher ihrer Maske ins Publikum und sagt: »Haben alle die Hausordung gelesen?«
Die Zuschauerinnen und Zuschauer schauen betreten zu Boden und wagen kaum zu antworten. In das Schweigen hinein fällt die nächste Frage: »Was muß ein guter Inquisitor können?« »Spaß dran haben«, ruft einer, »emotionslos sein« ein anderer. Jäschke tadelt: »Sind Sie gefragt worden?« Endlich gibt jemand die richtige, die gewünschte Antwort: Ein guter Inquisitor muß abwarten und Spannung aushalten können. Ein Aufatmen wie in der Schule: Gott sei Dank hat sie nicht mich gefragt.
Die Dramaturgie liegt auf der Hand: Hier soll eingeschüchtert, soll der Zusammenhang zwischen Hausrecht und Maßregelung aufgezeigt werden - überspitzt und möglichst eindrucksvoll. Allein, das Publikum spielt nicht mit. Es mag nicht warten, bis es gefragt wird und sich schließlich auch nicht auf's Anworten bescheiden. Die Gäste äußern sich, bunt durcheinander. Der Sinn von Hausordnungen für das soziale Miteinander wird diskutiert, der Schutz vor Belästigungen erörtert, über die Skater als rollende Gefahren beraten, die via Vorschriften aus Kaufhäusern, Passagen etc. verbannt werden könnten.
Bärbel Jäschke wirft schließlich die entscheidende Frage auf: Wie darf der öffentliche Raum mit uns umgehen? Mit einigen Beispielen aus der Hausordnung der Berliner »Arkaden«, die wie ein schlechter Scherz klingen, illustriert sie die Folgen rigide angewandten Hausrechts. Denn dort ist beispielsweise lautes Singen und Musizieren, Skaten, Rauchen und Alkoholgenuß verboten nirgendwo gibt es Bänke denn ausgeruht werden soll aus schließlich in den zahlreiche Cafes und Kneipen des Einkaufs Einkaufszentrums. Pflastermaler und Handzettelverteiler werden vom Wachpersonal umgehend hin hinausbefördert Der ursprüngliche Sinn öffentlichen Raums, der laut Grundgesetz zweckfrei und für jedermann zugänglich sein soll, an dem politisches Agieren ausdrücklich gestattet ist, an dem Menschen sitzen, schwatzen, singen dürfen wird durch das Erteilen von Hausrecht gründlich ad absurdum geführt. Stattdessen entstehen monokulturelle Räume, die allein zum Einkaufen benutzt werden sollen (und damit nur von Leuten, die sich das leisten können). »Schwarze Sheriffs dienen nicht nur der Sicherheit der Öffentlichkeit, sondern sollen vor allem das Einhalten von Verordnungen überwachen. »Das umfassende Regelwerk von Öffentlichkeit in privater Hand betrügt uns um elementare Freiheiten«, bringt Bärbel Jäschke auf den Punkt. »Solche öffentlichen Räume sind eine Mogelpackung. Und wer weiß« - fragend blickt sie in die Runde »vielleicht müssen wir in Zukunft für's 'Einkaufen gehen' Eintritt zahlen?
Das Konzept von Jäschkes Performance griff nicht: Auf ihr Spiel mit düsterer Angstmache wollte sich niemand so recht einlassen. Dennoch wurden Visionen von glaskuppelüberdachten Marktplätzen heraufbeschworen in denen private Investoren die Regeln machen. Und die hinterließen am Ende deutlich spürbare Beklemmung.
Ingrid Stecker
Stadtblatt, 15. April 1999