Furchtbar anzusehen: Prostituierte und Freier in full action. Keine Spielfilmszene. Nein, eine Sequenz aus einem Polizei-Video. Das Video wurde der britischen Polizei in Newham gestohlen und ist nun über das Internet als "Bull's Eye" zu kaufen. Nur ein Auswuchs der weltweit um sich greifenden staatlichen und privaten Videoüberwachung, die der Filmemacher Egmont R. Koch in einem Beitrag für das ZDF dokumentiert hat.
Dieser Film war auf der vom FoeBud e.V. veranstalteten 105. Public Domain am 1.Oktober im Bunker Ulmenwall zu sehen. 75 Menschen kamen zur Public Domain, um über das Thema "Vorsicht Kamera - Überwachung aus vielen Perspektiven" zu diskutieren, obwohl die etablierten Medien über die Veranstaltung so gut wie nicht informiert hatten. Auch die Videoüberwachung im Ravensberger Park ist kein Thema in den Bielefelder Medien.
Kochs Film diente der Einstimmung auf einen Vortrag von Dr. Thilo Weichert, stellvertretender Landesdatenschutzbeauftragter Schleswig Holsteins und Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz , über Video- und Kameraüberwachung. Er hatte Brisantes zu berichten. Schon seit 1958 in München die ersten stationären Kameras zur Verkehrsüberwachung in München aufgebaut wurden, gibt es eine Kameraüberwachung von Menschen durch den Staat in Deutschland. Aber bis heute gibt es keine gesetzliche Grundlage für den Umgang mit den aus der Überwachung gesammelten Daten. Es gilt das Kunsturheberrecht aus dem Jahr 1907. In den nächsten Wochen soll sich das aber ändern, ein neues Datenschutzgesetz geht im Berliner Bundestag in die erste Lesung. Das Verfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung aus dem Jahr 1983 spricht allerdings den BürgerInnen ein Recht auf die "informationelle Selbstbestimmung", ein Recht auf Datenschutz zu.
Zum neuen Gesetz, so Weichert, haben die deutschen Datenschutzbeauftragten gefordert, dass bei einer Videoüberwachung transparent darüber informiert werden müsse, wer überwacht, welche Art der Technik eingesetzt wird, ob die Überwachung aufgezeichnet wird und ob es sich um eine kurz- oder langfristige Überwachung handelt. Weichert forderte die Einführung einer Meldepflicht von Videokameras, die sich im Einsatz befinden. Diskutiert wurde in Bielefeld auch die Lizensierung von Kameras überhaupt, da sie leicht den Status von Waffen gewinnen können.
Gegen die heutige Technik scheint kein Kraut gewachsen. Kameras sind oft nur Stecknadelkopf groß, können auch Wärmebilder herstellen und durch Kleidung hindurch sehen und per Infrarot Personen auch auf große Entfernungen identifizieren. Gesichts-, Körper- und Gangerkennung sind möglich. Die Firma Siemens arbeitet an einer Kamera, die einen Menschen auf seinem Weg durch eine Stadt ununterbrochen beobachten kann.
Kurioses war der 105. Public Domain zu hören: In Amerika werden private Kindergärten permanent überwacht. Eltern können ihre Kinder und die ErzieherInnen über das Internet sehen. Ein US-Sheriff läßt Bilder von erwischten Freiern aus der Gefängniszelle ins Internet übertragen. Damit die Ehefrauen auch informiert sind. Wird eine Kamera zur Kriminimalitätsüberwachung eingesetzt, hat das zur Folge, dass sich die Kriminalität einen anderen Ort sucht. Nicht Minderung, sondern Verdrängung von Kriminalität ist die Folge der Überwachung - und der großflächige Ausbau der Kameraüberwachung. Die permanente Überwachung und Ängstigung von Menschen scheint letztendlich das Ziel, vielleicht auch der Sinn und Zweck, der neuen Überwachungsmethoden zu sein. Deutschland ist Hauptexporteure von Videotechnik zur Überwachung in nicht demokratisch regierte Länder. Noch heute werden in China mit verbesserter Technik die Daten zum Massaker auf dem "Platz des Himmlischen Friedens" ausgewertet.
Weichert konnte mit seinem Vortrag keine große Hoffnung verbreiten: "Wir werden mit der Videokamera im öffentlichen und privaten Bereich leben müssen." Ob sich die Videoübertragung mit Demokratie vertrage, hänge von allen BürgerInen ab, die sich für ihre Freiheitsrechte einsetzten müssten. Dazu gehörten auch Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie das Überziehen der Kameras mit Plastiktüten. Der Bielefelder Künstler padeluun, der die Public Domain mitorganisiert, schlug vor, Überwachungskameras, wie im Ravensberger Park geplant, mit Hobbyflugzweugen zu stören.
Web-Wecker Bielefeld, 05. März 2001