Stadtblatt: Wie passen freie Zivilgesellschaft und Über
wachungsstaat zusammen?
Klaus Rees: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist
ein hohes Recht der Zivilgesellschaft. Genau wie das sogar per
Grundgesetz abgesicherte Recht, sich überall frei, unbeeinflusst
und unbeobachtet aufhalten zu können. Diese beiden Rechte sind
durch die Überwachung des öffentlichen Raums gefährdet.
Die Polizei argumentiert, Bürger müssen sich auch sicher
aufhalten können. Bedeutet Videoüberwachung eigentlich
Sicherheit?
Nein, denn eine hundertprozentige Sicherheit kann und wird es in
keinem Fall geben. Natürlich muss man versuchen, ein möglichst
hohes Maß an Sicherheit für die Bürgerinnen zu gewährleisten.
Da hat aber Bielefeld keinen Nachholbedarf; es ist nach wie vor
die sicherste Stadt in Deutschland.
Ein Problem ist das subjektive Empfinden von Sicherheit oder Un
sicherheit von Bürgerinnen. Dieses Gefühl kann man nur bedingt
beeinflussen. Die Aufgabe der Polizei ist, die objektive Sicherheit
der Bürgerinnen mit den Mitteln zu gewährleisten, die sie hat.
Die subjektive Sicherheit zu gewährleisten kann man schlechter
dings weder von der Polizei noch von der Politik erwarten, denn
da gehen die Erwartungen sehr weit auseinander.
Das Polizeigesetz sieht Videoüberwachung für Kriminalitäts
schwerpunkte vor. Ist der Ravensberger Park einer?
In keinem Fall. Im Ravensberger Park passieren weniger als ein
halbes Prozent der Bielefelder Straftaten. Wer da von Kriminali
tätsschwerpunkt spricht, braucht entweder eine Brille, oder er ver
sucht, die Überwachung zu rechtfertigen. Aus meiner Sicht ist das
eine völlig überzogene Maßnahme. Die Zahlen zeigen ein deutlich
anderes Bild.
Wo sind in der Stadt sonst noch Überwachungsanlagen?
Wir haben vier Stadtbahnzüge, in denen mit jeweils vier Kameras Überwacht wird. Die Videoüberwachung in Verkehrsmitteln ist ein Bereich, der datenschutzrechtlich noch nicht abschließend geklärt ist. Es kann dabei nur um die Sicherheit der Fahrgäste gehen, und es darf auch- da,nicht zu-einem gravierenden Eingriff in die Privatsphäre kommen. Es muss in den Zügen auch Bereiche geben, in
denen sich Leute unbeobachtet aufhalten können.
Durch andere Maßnahmen wie zum Beispiel erhöhte Präsenz von Begleitpersonal sind solche technischen Maßnahmen überhaupt nicht nötig, weil gerade das Gefühl der subjektiven Sicherheit in erster Linie dadurch gewährleistet wird, dass die Leute jemanden ansprechen können, wenn sie sich bedroht oder gefährdet fühlen. Die Uberwachungskamera führt zu einer Stelle, die ganz weit weg ist, von daher ist das eine trügerische Sicherheit.
Die Deutsche Bahn ist ein Privatunternehmen, und die Bahngebäude sind in Privatbesitz. Andererseits ist ein Bahnhof eine öffentliche Einrichtung. Ich mache ein großes Fragezeichen dahinter, ob die Überwachung der Bahnhofshalle der Sicherheit der
Bahnbenutzer dient. Was nicht geht, ist eine Domkarnera anzubringen, wie sie am Bahnhof ist, und damit den ganzen Außenbereich, also den Vorplatz auch noch mit zu überwachen.
Was kann man dagegen tun?
Eine Möglichkeit ist, politisch dagegen zu arbeiten und deutlich zu machen, dass Videoüberwachung nicht die Lösung der Probleme darstellt, was übrigens die Erfahrungen in England ganz deutlich zeigen: Die Städte, in denen sie eingeführt wurde, sind nicht sicherer geworden.
Die zweite Möglichkeit, die ja in Bielefeld derzeit auch wahrge
nommen wird von einem Bürger, ist, dagegen zu klagen. Eine Bewertung der gesamten Grundlagen der Videoüberwachung d urch ein Gericht führt vielleicht zu einer etwas klareren Sicht, als sie
derzeit auf polizeilichem oder politischem Wege möglich ist. Denn offensichtlich haben sich die Polizeiführung Bielefeld wie auch das Innenministerium NRW auf den Modellversuch Videoüberwa
chung festgelegt, weil sich ja außer Bielefeld überhaupt keine andere Stadt gemeldet hat.
Wieso meldet sich Bielefeld eigentlich für jeden Modellversuch?
Keine Ahnung.
Interview: Astrid Paulsen
Stadtblatt, 04. Oktober 2001