Bahn fährt Richtung Abstellgleis

Von Manfred Horn

Der Bahn geht es schlecht. Nicht nur, dass die Gewerkschaft jetzt für mehr Lohn streikt. Auch das neue Preissystem, mit viel positiver Propaganda gerade erst im Dezember 2002 eingeführt, steht in einer Art Dauerkritik. Am vergangenen Samstag veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung, dass die Bahn im Januar im Fernverkehr je nach Region und Vertriebsweg der Tickets bis zu 18 Prozent weniger eingenommen habe als geplant. Statt eines Umsatzrückgangs habe das Unternehmen in diesem Jahr mit einem Umsatzplus von zehn Prozent kalkuliert. Inzwischen bestätigte die Bahn, dass die Umsatzziele im Fernverkehr nicht erreicht wurden.

Der Verkehrsexperte Eckehard Franz erteilte am vergangenen Sonntag bei der Public Domain des Vereins FoeBuD im Bunker Ulmenwall allen selbstgestellten Gewinn-Utopien der Bahn eine Absage: "Die Bahn will 2005 an die Börse. Doch der Börsengang wird scheitern _ oder die Bahn wird scheitern". Die Bahn sei nur börsenfähig, wenn sie keinen einzigen Kilometer mehr fahre und von den Gewinnen ihrer Grundstücke lebe. Ein Scheitern der Bahn wäre das letzte Glied in aller langen Kette von "Reformen", die die Bahn in ihren jetzigen Zustand brachten. Noch macht die Bahn 1,98 Milliarden Fahrten pro Jahr _ 80 Prozent davon im Nahverkehr. DB Cargo, seit der Bahnreform 1994 ein eigenes Unternehmen und für die Güterabwicklung zuständig, lässt jährlich 285 Millionen Tonnen Güter über die Schiene laufen.

Die große Bahnreform 1994, die eine Aufteilung des Bahnkonzerns in kleinere Einheiten wie die "DB Reise & Touristik AG", "DB Cargo AG", "DB Netz AG" und die "DB Station & Service AG" brachte und die als Vorgabe der Europäischen Union mehr Wettbewerb auf der Schiene bringen sollte, erweist sich längst als halbherzige Reform. Franz kritisiert vor allem, dass die Bahn beides mache: Verkehr und Infrastruktur. Dies erschwere privater Konkurrenz den Zugang. Die DB Netz AG bevorzuge die ihr nahestehenden DB- Unternehmen. So veranschlage die DB Netz AG zum Beispiel für Privatbahnen Strompreise "jenseits von gut und böse". Dieses führe dazu, dass Privatbahnen mit Diesellocks fahren und diese häufig in der ehemaligen Sowjetunion kaufen, weil die deutsche Bahn ihre Diesellocks lieber verschrottet als an die Privatbahnen zu verkaufen. Die Verschrottung aber ist Vernichtung von Steuergeldern. Bei aller Ausgliederung und AG-Gründung: die Bahn ist nach wie vor ein "volkseigener Betrieb", satte sechs Milliarden Euro stellen Bund und Länder jährlich für die Bahn zur Verfügung, die ohne öffentliche Gelder keinen einzigen Kilometer fahren könnte.

Aus Sicht der Privat-KundInnen spielt bei der Wahl des Verkehrsmittels eine Rolle, ob das Verkehrsmittel verfügbar ist, wie lang die Reisezeit ist, ob das Reisemittel bequem ist. Jeder Kunde gewichtet anders, aber 63 Prozent der KundInnen sind nach einer Untersuchung preissensibel. Und da hat die Bahn durch die Tarifreform vom vergangenen Dezember an Boden verloren im Vergleich zur Konkurrenz PKW. Der Fahrgastverband "Pro Bahn" stellt in einer Analyse heraus, dass sich die "Akzeptanz der Bahn über kürzere und mittlere Entfernungen verschlechtert: der Preis ist auch unter Nutzung der Bahncard nicht mit dem Auto konkurrenzfähig". Entgegen der Werbung der Bahn haben sich viele Strecken verteuert, nur auf langen Strecken kommt es zu einer spürbaren Vergünstigung, wenn entsprechend früh gebucht wird. Frühes Buchen und nutzen der sogenannten "Plan- und Spar" Tarife setzt aber drei Dinge voraus: erstens dass Mobilität planbar individuell ist, dass die Bahn sich zweitens dann auch an diesen Plan hält und drittens dass im Tarifdschungel überhaupt eine adäquate und kostengünstige Verbindung gebucht werden kann.

In die Praxis weisen alle drei Punkte Probleme auf. Spontane Bewegungsentscheidungen sind ein Merkmal einer Gesellschaft, deren Lebensrhythmus sich beschleunigt. Zehn Tage vorher wissen höchstens Urlaubsreisende, wann genau sie abfahren wollen und wann genau sie wieder zurückfahren wollen. Das neue Tarifsystem entspricht hier schlicht nicht den Lebensgewohnheiten. Anders gesagt: Wer weiterhin spontan Bahn fahren will, zahlt kräftig drauf. Als ergänzende Maßnahme setzte die Bahn mit der Einführung einer neuen Bahncard, die statt wie bis Dezember 2002 50 Prozent nur noch 25 Prozent Rabatt gewährt, noch eins hinzu. Günstigere Tarife gibt es nur bei "Reisen" und Vorab-Buchung. PendlerInnen beispielsweise sind in diesem Begünstigungssystem nicht vorgesehen.

Hat jemand eine Verbindung vorab gebucht, legt er sich damit exakt auf eine Verbindung fest. Dieses hat Konsequenzen: Kann die Bahn die Verbindung nicht einhalten, weil nach einem Umstieg beispielsweise ein Anschlusszug Verspätung hat, können die KundInnen nur unter Schwierigkeiten und Bedrohung mit finanziellen Sanktionen einen anderen, auf selber Strecke verkehrenden Zug nutzen, um zum Ziel zu kommen. Die Bahn spricht in solchen Fällen von "Kulanz". Doch "Kulanz" ist eine gönnerhafte Tätigkeit, die auf keiner Rechtsgrundlage steht und häufig in Willkür ausschlagen kann.

Auch der dritte Punkt macht Schwierigkeiten: Die neuen Kommunikationssysteme stellen zwar Informationen zur Verfügung, doch die sind häufig unzureichend. Pro Bahn machte diverse Tests und musste feststellen, dass die Auskunftssysteme wie "Hafas", die Datenbank mit Buchungsmöglichkeit der Bahn im Internet, nicht immer die günstigste Verbindung anzeigt. Hier sei das Hauptproblem, dass das benutzte EDV-System veraltet sei, kritisiert Pro Bahn. Wer im Internet unter www.bahn.de beispielsweise nach einer Verbindung zwischen Detmold und Hamburg suche, bekomme die günstigste Verbindung nicht angezeigt. Statt möglicher 28 Euro am Wochenende zeige das Programm einen Preis von 44 Euro an, bei Plan und Spar entsprechende Ermäßigungen. Erst durch Aktivierung einer "versteckten" Option "möglichst preiswert" zeigt der Reise-Service mit 30,40 Euro einen günstigen Preis, berücksichtigt die Vergünstigung durch das "Schöne Wochenende" aber nicht. Der Grund: derartige Sondertarife sind in das Hafas-Programm der Bahn überhaupt nicht eingearbeitet. Es ist nach Recherche von Pro-Bahn mit einiger Mühe und eigenem Wissen, dass die günstigste Verbindung nach Hamburg über Rotenburg (Wümme) führt, verbunden, kostengünstig nach Hamburg zu kommen. Wer nicht aufpasst, muss schnell ein Drittel mehr zahlen.

Dieses Beispiel bestätigt sich in einem Test der Städteverbindungen am Beispiel des im Bielefelder Bahnhof ausliegenden Handzettels. Diese sogenanten "Fahrplanauszüge" zeigen laut Pro Bahn bei weiträumigen Verbindungen eine mangelhafte Qualität. 7 der 20 Informationsblätter sind demnach unvollständig. Die Städteverbindung Bielefeld-München verschweige beispielsweise, dass es eine kostengünstige _ immerhin 15 bis 20 Euro weniger _ und nur eine Stunde langsamere Verbindung über Altenbecken gebe.

Das chaotische Tarifsystem-Dschungel, durch den sich die KundInnen mit schwerem Gerät, also viel Zeit, Beharrlichkeit und Misstrauen, durchschlagen müssen, um eventuell zum Ziel eines guten Preis-Leistungsverhältnisses zu kommen, ist absolut kundenfeindlich. Für die Hin- und Rückfahrt von Paderborn nach Düsseldorf an zwei festgelegten Tagen ergeben sich nach einer Untersuchung von Pro Bahn alleine 19 verschiedene Preise.

Die intransparente Preispolitik, die auch nicht durch großflächige und laut Pro Bahn häufig irreführende Werbung zugekleistert werden kann, ergänzt sich durch eine Hochgeschwindigkeitspolitik der Bahn. Schnelle Verbindungen in der Fläche wie der Inter Regio werden still und leise beerdigt. Kommt der Metrorapid, werden die Gelder für regionale Bahnprojekte deutlich geringer ausfallen, weil das Prestigeprojekt Unsummen von Geld verschlingen wird. Inzwischen kann man fast schon fragen: Was will die Bahn noch alles tun, um ihren Börsengang vorzubereiten, also eine Bahn zur Verfügung zu stellen, die möglichst nicht mehr genutzt wird? Es ist schon bitter, wenn jetzt ehemals treue Bahnkunden ein PKW kaufen, um ihre Mobilität aufrecht erhalten zu können. Der volkseigene Betrieb Bahn verursacht einen verkehrs- und umweltpolitischer Schaden, der auf Jahre nicht umkehrbar sein wird.

Die Analyse von Pro Bahn zur Tarifreform im Netz unter: http://www.der-fahrgast.de/Dokumentation/tarifchaos1.html

Webwecker Bielefeld, 05. März 2003
Original: http://www.webwecker-bielefeld.de/servlet/is/10625/