Verschlüsselt lesen

GEHEIMSCHRIFT FÜR ALLE: "PRETTY GOOD PRIVACY"

von WING

Nachrichtentechnisch ist der Cyberspace ein Nudistencamp: jeder kann jedem alles weggucken. Das hat was, und ein Stück weit ist die elektronische Utopie vom globalen Dorf durchaus auf diese Möglich- und Kaum- Umgänglichkeit der All-around-Kommunikation aufgebaut. Weshalb Leute, die jetzt Kryptographie als Breitensport einführen wollen, auch eher paranoid als revolutionär klingen. Wir haben doch nichts zu verbergen voreinander, oder?

Aber eine Menge staatlicher Stellen haben etwas zu verbergen, und eine Menge dagegen, wenn unser einer plötzlich Briefumschläge für die Computerpost verwendet. Tatsächlich transportieren beispielsweise die internationalen Hilfsdienste in den diversen Spannungsgebieten ihre Dienstpost unverschlossen, damit sie keiner für Spione hält. Und tatsächlich raten auch Kryptomane dringend davon ab, verschlüsselte eMails in Krisenregionen zu kabeln, weil das den Empfänger automatisch zum Kriegsziel mache.
Nicht mal zu Hause ist man sich sicher. Fast alle Regierungen verbieten den Export von Verschlüsselungsmitteln. Philip Zimmerman etwa, der Erfinder des wohl verbreitetsten Codierprogramms PGP (Pretty Good Privacy = ziemlich privat), hat in den USA gerade einen teuren Prozeß am Hals. Weil sein Programm in seiner Mailbox lag, die ans Internet angeschlossen war, und nun haben's alle. Bzw. eine außerhalb der USA aus öffentlich zugänglichen Quellen neuprogrammierte Version. Die wird auch über den Bielefelder FoeBuD e.V. verlrieben, mit deutschem Handbuch und einem Aufruf zur Prozeßkostenhilfe (Kontakt-Tel.: 0521-175254, eMail: foebud@bionic.zer.de).
Worum es überhaupt geht: Vertraulichkeit und Weltläufigkeit zu verbinden. Das System nämlich ermöglicht es, Botschaften zwischen Leuten auszutauschen, die sich nie persönlich gesehen haben und über keinen gemeinsamen Code verfügen. Das Prinzip heißt "Public Key" und funktioniert im Prinzip so: jeder kann etwas mit meinem öffentlichen Schlüssel verschlüsseln, aber nur ich kann es mit meinem privaten Schlüssel wieder lesen. Man muß also, statt mit jedem Empfänger im Geheimen einen Code zu verabreden, nur noch sicherstellen, daß die im Cyperspace herumliegenden öffentlichen Schlüssel auch wirklich denen gehören, deren Krypto-Adresse zu sein sie behaupten. Und man muß sich überhaupt nie mit mit der Mathematik dahinter befassen (Primfaktorzerlegung, Zufallszahlen, Einwegfunktionen ...), dafür aber das ziemlich wirre Handbuch zig mal lesen.
Das aber lohnt sich, sagen die Daten-Pioniere. Nicht nur für Leute, die wirklich was zu verbergen haben (PGP ist so sicher, daß es das FBI graust), sondern für alle im Netz, die bei aller Liebe zur freien Kommunikation an Anstands-Standards interessiert sind. Sozusagen an einem Datensauna- Kodex: hingucken nur nach Augenkontakt.

Ultimo, 27. Februar 1995