Von DORIS SCHNEYINK
Wenn die Kroatin Djurdja Knezevic mit Freunden in Belgrad reden will, greift sie nicht zum Telefonhörer, sondern in die Tasten ihres Computers: Sie verschickt E-Mail, elektronische Post. Telefonieren wäre sowieso sinnlos, denn wichtige Verbindungen wie die zwischen Zagreb und Belgrad wurden bei Kriegsbeginn gekappt. Nach der Devise "Krieg fangen dort an, wo Kommunikation aufhört" zerstörten die Regierungen auf dem Balkan Telefonleitungen, stoppten den Briefverkehr und schlossen Grenzen. "Ich hatte keine Ahnung, was meine Freunde in Belgrad über den Kriegsausbruch dachten", sagt Djurctja Knezevic. "In dieser Situation war E-Mail für uns ein Geschenk des Himmels." Denn E-Mail ist schnell, billig und frei von staatlicher Kontrolle.
Seit 1991 existiert im ehemaligen Jugoslawien das Computernetz "Za-Mir", über das elektronische Post verschickt werden kann. "Za-Mir" bedeutet in der Sprache von Serben, Kroaten und Bosniern "für den Frieden", und Hunderte von Anti-Kriegsruppen haben sich in dem Netz zusammengeschlossen. "Za-Mir" funktioniert sehr einfach: Computernetze nutzen die gleichen Leitungen wie das Telefon, haben aber einen gewaltigen Vorteil: Sie brauchen keine direkten Punkt zu Punkt-Verbindungen. Wenn also die Leitung zwischen Zagreb und Belgrad tot ist, reisen die Computerdaten über Umwege an ihr Ziel. Sogenannte Mailbox-Rechner sammeln die elektronischen Briefe, rufen andere Mailboxen an und schicken die Post weiter. Der zentrale Umschlagplatz für en Datenverkehr im ehemaligen Jugoslawien ist deswegen eine Mailbox in Bielefeld. Stündlich ruft der dortige Rechner die Boxen in Zagreb, Belgrad, Sarajevo, Ljubljana, Mostar usw. an, leitet die Nachrichan ihre jeweiligen Adressaten und sammelt, neue Post ein. Das Prinzip ist simpel, funktioniert gut und billig: Ich kann meinePost zum Ortstarif an die Mailbox in Zagreb schicken", sagt Djurdja Knezevic. Alles, was sie braucht, sind ein Computer und ein Modern. Das Modem verwandelt digitale Daten in analoge, die von der Telefonleitung transportietr werden können, Die Telefonkosten zwischen Bielefeld und dem ehemaligen Jugoslawien bezahlt die Stiftung des amerikanischen Millionärs Georg Soros. Das Netz gibt Kroaten, Serben und Bosniern das wieder, was staatliche Zensur und Krieg ihnen weggenommen haben: einen öffentlichen Ort, zum streiten, nachdenken und Nachrichten austauschen.
Zum "Marktplatz" wird das Comuternetz, wenn Leute öffentlich Post verschicken. Das funktioniert ungefähr so wie ein schwarzes Brett: Jeder kann seine Nachricht "anpinnen" und die Nachrichten der anderen lesen. Es gibt Hunderte von die-, "sen "boards" oder "Foren" im Netz zu allen erdenklichen Themen: Kultur Politik, Wirtschaft, Flüchtlinge und selbstverständlich auch Computerspiele - in "Za-Mir" findet sich die ganze Gesellschaft wieder. Vor wenigen Monaten hat Djurdja Knezevic so ein schwarzes Brett innerhalb von "Za-Mir" eröffnet. "Za-Mir/Women" heißt es und ist ausschliesslich für Frauen reserviert, Das Brett ist zum Nachrichten- Karussell für alle Frauen im ehemaligen Jugoslawien geworden, die sich in der Anti-Kriegs- oder Frauenarbeit engagieren. Die Gruppe "Medica Zenica" aus Bosnien berichtet elektronisch über ihre Arbeit - sie leistet medizinische und seelische Hilfe für vergewaltigte Frauen; "Women in Black" aus Belgrad schreibt an "Za-Mir/Women" ebenso wie "Ariadne" aus Rijeka, "Viva Zenica" aus Tuzla, "Sister Quiriazi" aus dem Kosovo und natürlich die "Frauen-Infothek" aus Zageb, ein Archiv zur Geschichte der Frauenbewegung das Djurdja Knezevic šber 250 Artikel, ,Nachrichten, Kommentare und Vermißten-Anzeigen veröffentlichten die Frauen in den letzten Monaten bei "Za-Mir/Women". Natürlich beherrschen der Krieg und seine Folgen die Diskussionen, aber es geht auch um Kultur und Wissenschaft, um Kindererziehung und Frauenrechte. Die Frauen verurteilen zwar gemeinsam den Nationalismus und die "ethnischen Säuberungen" dem Balkan, aber dennoch: "Wir sind kein multi-kulturelles Paradies", meint Djurdja Knezevic. Es gebe Vorurteile und wütende Gefühle, Aber zum offenen Streit komme es nicht, weil die Erinnerungen an Massenvergewaltigungen oder Vertreibungen bei allen noch viel zu frisch seien. Eine Grundregel elektronischer Kommunikation ist außerdem das Verbot von dirty talk", von Schmäh- und Haßreden. Ein System Operator, kurz SysOp genannt, würde derartige Beiträge löschen. SysOps sind so etwas wie die Hausmeister des Systems: Sie richten in der Mailbox Adressen für neue Nutzer ein, löschen.alte, schauen nach dem Rechten und geben Anfängern Tips. "ZaMir/Women" wird von der 21 Jahre alten Suncica Spriovan gemanagt. Im Januar reiste sie gemeinsam mit Djurdja Knezevic nach Hamburg zum Kongreß des Chaos Computer Clubs (CCC). Die Leute vom CCC verfügen über reichlich Erfahrung mit Datenübertragung und organisieren auch die Mailbox in Bielefeld.
"Natürlich wird "Za-Mir" nicht zum Massenmedium, das auch die letzte Bäuerin im Kosovo benutzt", meint Djurdja Knezevic. Aber sie wollen auf jeden Fall neue Mailboxen einrichten und viele Frauen an das Mediurn heranführen. "Und dazu brauchen wir weibliche Sysops". Rena Tangens, Betreiberin der Mailbox in Bielefeld und Referentin in Zagreb, schwört auf Mailbox-Kommunikation. "Es sind sehr einfache und sehr gute Systerne, aber leider geht das in der allgemeinen Multimedia-Euphorie etwas unter", sagt sie. Man brauche keine teuren Standleitungen, keine bunten Bilder und keine Musik, um elektronisch miteinander zu kommunizieren. In Zagreb diente anfangs ein unscheinbarer Laptop als Mailbox. "Man kann auch mit low tech eine Menge machen", sagt Rena Tangens. Was wird, aus "Za-Mir" und "Za-Mir/Women' , wenn endlich Frieden ist und die alten Telefonverbindungen wieder geflickt sind? Wird das Netz dann überflüssig "Nein", sagt Djurdja Knezevic entschieden. Der Friede zementiere die schlechten Kriegsziele, nämlich die Existenz "ethnisch gesäuberter" Staaten. "Wir wollen aber offene Grenzen und uns frei unter Leute mischen können." Kontakt zur Women's Infoteka erhält man über: E-Mail: ZENSKAINFO_ZG @ZAMIR-ZG.ZTN.APC.ORG. Die Mailbox "BIONIC" in Bielefeld ist unter der Nummer 0521/68000 zu erreichen; Hotline (Mo-Fr 17-19 Uhr): 0521/17 52 54 Wer einen Internetanschluß hat, findet im Usenet die newsgroup: soc.culture.croatia. Hier gibt es Informationen in englischer Sprache.
Hamburger Abendblatt, 18. Mai 1996