ZaMir - ein Netzwerk für den Frieden

"Wenn man nicht miteinander kommuniziert, kann man auch nicht vergeben", dachte der Friedensaktivist Eric Bachman und schuf ein Kommunikationsnetzwerk im umkämpften ehemaligen Jugoslawien.

Von Annika Schnoor

"Das gab mir Hoffnung" resümiert Dragica über den Kontakt zu ihrer Freundin Kristina, die nach Kriegsausbruch in Richtung Schweden geflohen war. Dragica ist wie viele ein Opfer des Bürgerkrieges im ehemaligen Jugoslawien. Die heute 22-jährige, deren Eltern im Krieg von Soldaten getötet wurden, entkam selbst nur knapp dem Tod und verbrachte viele Monate in einem Flüchtlingslager. Das ZaMir-Netzwerk ermöglichte ihr die Kontaktaufnahme zu Menschen, denen sie vertraute. Der regelmäßige Kontakt zu ihrer Freundin brachte ihr den Lebensmut zurück. Der Austausch zwischen den Freundinnen war nur über elektronische Briefe möglich. Gerade diese, wenn auch bescheidene Art der Kommunikation, war für viele Menschen in Kriegsgebiet überlebenswichtig.

Unerwünschte Kommunikation

Ein Mittel der Kriegsführung im ehemaligen Jugoslawien war die Errichtung einer Kommunikationssperre, unter der die Bevölkerung sehr zu leiden hatte. Die Grenzen wurden geschlossen, es war unmöglich von Kroatien nach Serbien zu reisen. Alle herkömmlichen Nachrichtenkanäle wurden von den Regierungen zerstört. Sie kappten Telefonleitungen und stoppten den Briefverkehr.

Was die Angehörigen über den Kriegsausbruch dachten, was ihnen im Krieg widerfuhr und wo sie sich gerade aufhielten, alles das war seit Kriegsbeginn nicht mehr zu erfahren. Der Kontakt zu Freunden und Verwandten außerhalb des eignen Gebietes war fast unmöglich. Allerdings bestanden noch wenige Telefonleitungen ins Ausland. Der Krieg in Ex- Jugoslawien brachte Kriegsgegner und Menschenrechtsgruppen schon 1991 dazu, sich zu organisieren. Dabei stießen sie auf massive Probleme, vor allem weil das technische Kommunikationsnetz fast vollkommen lahmgelegt war. Der Kontakt zwischen der Friedensgruppen in Zagreb und in Belgrad war nahezu unmöglich.

Erste Kontaktaufnahme per Fax-Gerät

Die Anfänge des ZaMir-Netzes bildete ein Fax-Dienst: Von Belgrad aus wurden Nachrichten per Fax nach London geschickt, die von Menschen dort im Büro wieder ins Faxgerät gesteckt und nach Zagreb weitergeschickt wurden. Und umgekehrt. Dieser Umweg musste gemacht werden, da nur noch die Auslandstelefonverbindungen in Serbien und Kroatien funktionierten. So konnte der Kontakt zwischen den Menschen beider Regionen wiederhergestellt werden. Diese Kontaktaufnahme per Fax war aber teuer in der Übertragung und durch die Weiterleitung von Hand sehr arbeitsintensiv.

ZaMir - das Balkannetzwerk entsteht

Aus dieser Not heraus hatte der in der Friedensarbeit engagierte Deutsch-Amerikaner Eric Bachmann die Idee ein E-Mail-Netzwerk aufzubauen. Dieses Netzes sollte mit relativ geringem Aufwand die Kommunikation mit der anderen Seite herstellen.Die Vorteile: E-Mails sind schnell und frei von staatliche Kontrolle. Das technische

Know-how zur Realisation des ZaMir-Projektes brachten Eric Bachmann und der niederländische Friedensaktivist Wam Kat ein. ZaMir ist serbokroatisch bedeutet "für den Frieden". Im Juli 1992 entstanden die ersten beiden Mailboxen in Zagreb (Kroatien) und Belgrad (Serbien). Später folgten Mailboxen in den Städten Ljubjana, Tuzla, Sarajevo, Pristina und Pakrac. Dank ZaMir tauschten während des Krieges humanitäre Organisationen aus allen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens Informationen aus und arbeiteten über die Fronten hinweg zusammen. Vor allem aber konnten die vom Krieg getrennten Freunde und Nachbarn miteinander Kontakt aufnehmen. Flüchtlinge hatten die Möglichkeit per Suchmeldung mit dem Computer ihre vermissten Familienmitglieder wiederzufinden. In der Krisenregion verbreitete sich die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu Familie und Freunden über Mundpropaganda.

Diese Verbindung wurde als "Turnschuhnetzwerk" bezeichnet. Aufgrund der allgegenwärtigen Heckenschützen war es lebensgefährlich zu den Mailboxen zu gelangen oder Disketten mit Nachrichten zu übermitteln.

Zur technischen Funktionsweise von ZaMir

Zur Realisierung von ZaMir waren die technischen Voraussetzungen vor Ort relativ gut. Was soviel heißt, dass Telefonleitungen generell vorhanden waren und die Telefonleitungen in Ausland teilweise noch funktionierten. Für die Mailboxen bedurfte es eines PC?s, einem Modem und einem Telefonanschluss sowie die Mailbox-Software "Zerberus", die für das deutsche Z-Netz entwickelt wurde. Einer der schwierigsten und gefährlichen Aufgaben von Eric Bachmann bestand darin, die technische Ausrüstung in die umkämpften Städte Ex-Jugoslawiens zu schmuggeln.

Computernetze nutzen die gleichen Leitungen wie das Telefon. Ihr Vorteil ist, dass sie keine direkte Punkt zu Punkt Verbindung benötigen. Das heißt, die Computerdaten können über Umwege an ihr Ziel reisen. Mailboxrechner sammeln die elektronischen Briefe, rufen mehrere Mailboxen an und schicken die Post weiter. Die Verbindungsstelle zwischen den beiden Rechnern war die Bielefelder Bionic, die über das Zerberus Netz, die Internetanbindung bereitstellte. Der Foebud war die Kontaktstelle.

Für das ZaMir-Projekt standen nur 3 Telefonleitungen zur Verfügung. Auf diesen Leitungen konnten aber bis zu 5000 Menschen ihre Nachrichten zeitgleich versenden. Mit minimalsten Ressourcen wurden viele Menschen erreicht. ZaMir versendete reine Textbotschaften - Bilder wurden nicht ausgetauscht. Bis zu zwölf mal täglich kam es zu einem Datenaustausch zwischen den Systemen. Innerhalb von zwei bis vier Stunden trafen die Nachrichten beim Empfänger ein. Die Nutzung des Systems war kostenlos.

Finanzierung

Allein die Telefonkosten in Bielefeld beliefen sich im Monat auf mehrere tausend Mark. Den großen Teil der Kosten trug die Soros-Stiftung des ungarisch-amerikanischen Wertpapiermilliardärs Georg Soros. Die weitere Finanzierung ermöglichten Spenden. Die Medien berichteten seit 1993 verstärkt über das ZaMir-Projekt. Es gab viele ehrenamtliche Helfer, darunter auch Flüchtlinge aus Ex- Jugoslawien, die ZaMir unterstützten. Seit 1995 wurden von den Benutzern in Belgrad und Zagreb Gebühren erhoben. Aber auch damit wurden die monatlichen Betriebskosten von zehn- bis zwölftausend Mark nicht gedeckt. Somit war das Projekt ZaMir auch weiterhin auf Spenden aus dem Ausland angewiesen.

Das Ende des Netzwerkes

1996 ist das Netzwerk ZaMir finanziell zusammengebrochen, da die Soros-Stiftung ihre Unterstützung nach fünf Jahren einstellte. Die Stiftung argumentierte, dass sich das Netz jetzt selbst finanzieren oder eine andere Geldquelle finden müsse. ZaMir hat auch ohne das Geld von Soros noch einige Zeit weitergearbeitet, aber bei der Mailbox Bionic in Deutschland waren 40.000 Mark Schulden aufgelaufen. Der Rechner in Bielefeld hatte einen großen Teil der Verbindungen zu den anderen Knoten von ZaMir übernommen, hauptsächlich nach Sarajevo. Das ist heute nicht mehr möglich, und so hat nur der Knoten von Zagreb überlebt. Das Mailboxen-System, das sich unter extremen Kriegsbedingungen bewährt hat, genügte den zivilen Ansprüchen nach dem Krieg nicht mehr. Die Welten des Word Wide Web weckt bei vielen neue Begehrlichkeiten nach bunten Bildern und Unterhaltung.

Blick in die Zukunft

Menschliche Tragödien gibt es zu Hauf, doch ein mit ZaMir vergleichbares Antikriegsnetz ist nicht in Sicht. In Ex-Jugoslawien gab es zu Beginn der 1990er schon eine relative Dichte an Computern, diese fehlt in Ländern wie beispielsweise Tschetschenien völlig. Und es fehlen die Friedensaktivisten, um neue Mailnetze zu knüpfen.

Welche Rolle wird das Netz in zukünftigen Kriegen spielen? Darauf antwortet Rena Tangens vom Foebud: "Klar ist, dass Kommunikationseinrichtungen wichtig sind. Nicht zufällig wurde das serbische Fernsehen bombardiert". Ein großer Teil von Kriegskommunikation wird zukünftig über das Netz abgewickelt werden. Das Internet wird die mediale Ergänzung zur Kriegspropaganda des Fernsehens mit "Tyrannen, die Kinder vergewaltigen" (so wurde der irakische Diktator Sadam Hussein präsentiert, siehe beispielsweise die Aufmacher der Bild-Zeitung während des Golfkrieges 1991), es wird aber auch militärlogistischer Raum. Armeen werden per Datenfernübertragung bewegt. Aber: "Wenn die Armee den Befehl zum Losmarschieren nicht erhält, dann passiert gar nichts". Kommunikation und Medien befinden sich an einer kriegsentscheidenden Schnittstelle. Das Netz als Streckbett der Gedanken, als kriegerische Gruselkammer? padeluun und Rena Tangens vom Foebud fordern auf, sich die Inneneinrichtung anders zu gestalten.

KommuniCare
Original: http://www.kommunicare.de/dyn_html/dyn013_internet_start.htm