Der Krieg ums Kosovo ist auch ein Informationskrieg. Wo Radio, Fernsehen und Zeitungen gleich- oder abgeschaltet sind, werden Internet und alternative Computernetzwerke zur wichtigen Waffe der Opposition, zur Hilfe für die Helfer.
Albaner, die dem Inferno im Kosovo entkamen, haben nicht nur Hunger. Sie dürsten nach Informationen. Im Auffanglager suchen viele nach verlorenen Kindern, Eltern und Verwandten, fragen nach Nachbarn aus dem Heimatdorf. Die Rotkreuz-Helfer wissen, wie wichtig neben Nahrung, Zelten und Medikamenten ihre Auskünfte sind.
Wer in einem der Lager Unterkunft findet, wird möglichst sofort irn Computer erfäßt. Die erst notdürftig installierten Netze sollen helfen, Verlorene wiederzufinden. Über Adressen wie http.//kosovo.suchanzeigen.de, www.alb-net.com oder Seiten der Uno-Hilfsorganisation UNHCR (Adresse: www.unhcr.ch) können listen von Vermißten auf englisch oder albanisch eingesehen werden. Per E-Mail sind die Einrichtungen erreichbar.
Wer hierzulande Aktuelles aus dem Krisengebiet erfahren will, den bedient das Fernsehen mehr schlecht als recht. Außer Bildern des Leidens fließen echte Informationen aus dem Kriegsgebiet nur spärlich. Während sich die Korrespondenten in der Nähe der Auffanglager auf die Füße treten, weiß man wie im Fall des Lagers Place gar über den Verbleib von zigtausend Kosovo-Albanern nichts. Sie seien über Nacht spurlos verschwunden, heißt es. Zur humanitären Katastrophe" kommt die informationelle.
Doch es gibt Informationen aus den Kriegs- und Krisengebieten. Per Internet. Aktuell berichten Einrichtungen wie das Kosova Crisis Center (www.alb-net.com), die Kosova Info Line (www.kosova-info-line.de) oder das in London ansässige Institute for War & Peace Reporting (www.jwpr.net). Auch die Online-Seiten der Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sender sind zum Teil auf dem laufenden. Beunruhigend: Das früher so gut informierte Kosova Information Center scheint in den Kriegswirren untergegangen zu sein. Der letzte Eintrag auf der Seite www.kosova.com stammt vom 24. März.
"Traut niemandem, nicht einmal uns, aber bewahrt den Glauben", sendete der Belgrader Untergrund-Sender B92 als letzte Meldung. Zehn Jahre lang hatte der Sender als Sprachrohr der kritischen und demokratischen Serben gedient, unzensiert Nachrichten aus der Hauptstadt verbreitet. Seit dem 2. April herrscht Friedhofsruhe in der Makedonska-Straße 22. Über den Žther posaunt nur noch Milosevics gleichgeschaltetes Regierungsorgan Tanjug (Internet-Adresse: http://tanjug.co.yu) Durchhalteparolen und Falschmeldungen in die Welt.
Wer jetzt irn Internet die Homepage des Oppositions-Senders aufsucht, liest: "Radio B92 geschlossen und abgeschaltet". Ein Link verweist auf "HelpB92" (http://helpB92. xs4all.nl). Eine engagierte Gruppe beim niederländischen Online-Provider XS4all verspricht, die Arbeit des Oppositionssenders zu unterstützen. Per RealVideo und RealAudio irn Internet will die B92-Support- Group demnächst Beiträge des B92-Teams in Wort und Bild verbreiten. Vorerst tröpfeln die Infonnationen noch, auf holländisch. Dafür kann sich der Online-Leser alte Beiträge von B92 herunterladen. Darunter eine Mutmach-Parole vom 5. April, nach der Schließung:"Der Kampf geht weiter. Wir werden nie aufgeben. Radio B92, Belgrad, Serbien." Internet und alternative Netzwerke rnit Mailboxen und Mailing-Listen, in denen sich Dutzende von Friedens- und Unterstützerinitiativen tummeln, sind für viele die einzige Chance, an aktuelle und unzensierte Nachrichten zu kommen. Meldungen ohne den Segen von Nato, Regierungen und Uno.
Während des Bosnien-Kriegs schon hatten einzelne Organisationen Bewundemswertes geleistet. Doch die Bomben der Nato haben viele Helfer überrascht und verwirrt. Der 50jährige Amerikaner Eric Bachman aus Hiddenhausen, vor 30 Jahren in Deutschland hängengeblieben, hat sich der aktiven Friedensarbeit verschrieben. Er koordinierte bislang die Informations- und Kommunikationsarbeit des Balkan-Peace-Teams, einer Friedensorganisation, zu der sich elf Organisationen verschiedener Länder zusammengeschlossen haben.
Wir haben Mitarbeiter in Serbien, Kroatien und anderen Ländern auf dem Balkan", sagt Bachman, "aber unsere Mitarbeiter aus dem Kosovo mußten vor den Bomben fliehen. Nun versuchen wir mühsam, Serben und Albaner wieder in Kontakt zu bringen." Der Krieg hat Leitungen gekappt, Computer und Modems zerstört. Als Com-Coordinator versucht Bachman per Internet und elektronische Mailbox-Systeme, die vom Krieg gekappten Verbindungen zwischen den Friedensgruppen vor Ort wiederherzustellen.
Als vor rund zehn Jahren in Bosnien Serben, Kroaten, Slowenen und Bosniaken aufeinandereinschlugen, war Bachman bei seiner Arbeit des "gewaltfreien Konflikttrainings" an die Grenzen der herkömmlichen Kommunikationsmöglichkeiten gestoßen. Intemet gab es auf dem Balkan noch nicht, die Menschen besaßen keine Computer. Per Fax versuchten die Friedenskämpfer, zu informieren und über die Fronten hinweg zu vermitteln.Unabhängig von den oft schwerfälligen Apparaten der Regierungsorganisationen suchte Bachman nach neuen Kornmunikationswegen. Und fand sie fernab vom Krisenherd in Deutschland.
Als bei uns die Möglichkeit der Verwendung elektronischer Datenströme erst wenigen bekannt waren, betrieb in Bielefeld ein hellwaches Künstlerpärchen - RenaTangens und Padeluun - bereits die erste elektronische Mailbox namens Zerberus. Bachman: Wir leiteten Briefe weiter, die Menschen unseren Mitarbeitern im Konfliktgebiet in die Tasten des Computers diktierten. Die Mails wurden bei uns ausgedruckt per Brief weitergeschickt. Manche Nachrichten wurden auch am Telefon vorgelesen." Und Padeluun ergänzt: "Da war noch nichts mit kommerziellem Web und Maus und bunten Bildern auf dem Bildschirm. Wir haben mit Low-Tech gearbeitet. Rechner und Modems, die hier als schrottreif galten, erfüllten vor Ort ihren Zweck Sie wurden zum Teil zerlegt und ins Land geschmuggelt."
Das einfach gestrickte, aber funktionierende Kommunikationsnetz hatte die Mitarbeiter und Gruppen über alle Grenzen und Sprachbarrieren hinweg verbunden. Als ZaMir-Netz (za mir, serbokroadsch: für den Frieden) und - auf albanisch - ZANA-Netz arbeitete es auch im Kosovo, bis der Krieg alle Verbindungen zerriß. "Damals hatte das Netz etwa 14 Knotenpunkte", erinnert sich Rena Tangens, mit etwa 700 bis 800 Nutzern." Und Padeluun nicht ohne Stolz: "Hinter manchen Stellen standen ja nicht nur einzelne Menschen, sondern Gruppen von 100 bis 150 Mitarbeitern."
Und heute? "Jetzt brauchen die Menschen aus dem Kosovo vor allem erst mal Lebensmittel, Medikamente und ein Dach über dem Kopf", sagt Eric Bachman bitter. "Erst dann denken sie wieder an Frieden und Menschenrechte. Sobald man wieder einreisen kann, ohne abgeschossen zu werden, fahren wir wieder hin. Die Menschen brauchen uns."
THOMAS BRANDENBURG
Mehr Adressen unwr http://www.vdi-nachrichten.com
VDI Nachrichten, 16. April 1999