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Fachbereich 06: Rechtswissenschaft
Dr. iur. Helmut Pollähne
- wiss. Assistent -

Bremer Institut für
Kriminalpolitik (BRIK)

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ZUSCHRIFT
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e-mail: pollaehne@uni-bremen.de
Bremen, den 9.1.2003
Stellungnahme zum ;
„Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes" (Drs.13/2854)
„Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen" (Drs 13/2280)
für das Sachverständigengespräch im Innenausschuss am 16.1.2003
(gemäß Fragenkatalog)

Vorbemerkungen
a) Der Fragenkatalog erweckt - entgegen der offiziellen Begründung des Gesetzentwurfes
der Landesregierung - den Eindruck, als stehe die Videoüberwachung (nachfolgend: VÜ) im
Zentrum polizeipraktischer und bürgerrechtlicher Auseinandersetzungen (Ähnliches impliziert
der Entwurf der CDU). Dies ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich:

- Erstens wäre es um die Polizei und ihr Recht nicht gut bestellt, wenn die öffentliche Sicher-
heit im Lande mit dem Einsatz der VÜ stände und fiele. Dagegen spricht nicht zuletzt, dass
das Land über lange Jahre und Jahrzehnte hinweg ohne eine solche öffentliche Überwa-
chung ausgekommen und trotzdem nicht in allgemeine Unsicherheit, Unruhe und Unordnung
verfallen ist - die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht eher dagegen:

Der PKS-NRW 2001 zufolge rangiert die Gesamtkriminalität im Lande seit 1992 auf
gleichbleibendem Niveau (S. 14/15). Gerade in den im vorliegenden Kontext relevan-
ten Feld der sog. ,Straßenkriminalität' ist in diesem Zeitraum sogar eine stetige Ab-
nahme zu verzeichnen (die lediglich in 2001 etwas aufgehalten wurde, allerdings
auch nur durch einen Anstieg auf den Wert von 1997, während sie in den Vorjahren
z.T. deutlich höher lag); auch die Zahl der im Zusammenhang mit dieser .Straßen-
kriminalität' ermittelten Tatverdächtigen ist in etwa gleich geblieben (S. 156/157).

Die allermeisten Kommunen werden auch weiterhin auf die VÜ verzichten, ohne dass ihre
Polizei der lokalen Sicherheitslage bzw. Kriminalität nicht mehr .Herr' werden könnte.


- Zweitens enthält auch der vorliegende Regierungsentwurf noch ganz andere brisante Ände-
rungsvorschläge, die einer öffentlichen Auseinandersetzung würdig wären, wie etwa diejeni-
gen zur Rasterfahndung (§ 31) oder zum Aufenthaltsverbot (§ 41 Abs.2).

- Drittens scheint mir der Regierungsentwurf in der zentralen Problembeschreibung deutlich
,zu hoch gehängt', wenn die Änderungen „vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. Sep-
tember 2001 zu sehen" sein sollen (vgl. auch Begründung S.51). Dies kann allenfalls - wenn
überhaupt - für die Neufassung des § 31 (Rasterfahndung) gelten, während VÜ und Aufent-
haltsverbote ersichtlich nichts mit internationalem Terrorismus zu tun haben. Es sollte doch
der Eindruck vermieden werden, die Ausweitung von Aufenthaltsverboten und VÜ .segelte'
unter dem Banner der Terrorismus-Bekämpfung.

b) Die vorliegende Stellungnahme erstatte ich einerseits als Strafrechtler und Kriminalwis-
senschaftler, der seit einigen Jahren die Probleme einer zunehmenden Verschmelzung von
Strafrecht und Polizeirecht mit wachsender Sorge um Liberalität und Rechtsstaatlichkeit beo-
bachtet; andererseits als Bürger Bielefelds, der das nordrhein-westfälische Pilotprojekt .Vi-
deoüberwachung Ravensberger Park' nicht klaglos hinzunehmen bereit war und deshalb
verwaltungsgerichtliche Klage erhoben hat: Diese wurde in erster Instanz zwar als unzulässig
abgewiesen, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung steht allerdings noch aus.

Zu den Fragen:
1. An den Absätzen 2 und 3 der bisherigen Fassung des § 15a ist kritisiert worden, sie
hätten - jedenfalls teilweise - strafprozessualen Charakter und insoweit sei die Kompe-
tenz des Bundesgesetzgebers gegeben.
Wie sieht es in dieser Hinsicht mit Absatz 2 der Neufassung aus?

Die Kritik an dem bisherigen § 15a Äbs.2 und 3 PolG war und ist im Hinblick auf die Gesetz-
gebungszuständigkeit berechtigt (vgl. auch § 6 Abs.1 EGStPO): Das Aufzeichnungsrecht aus
Anlass einer begonnenen (in vielen Fällen auch einer unmittelbar bevorstehenden) Straftat
(Abs.2 S.1) ist ein originär strafprozessrechtlicher Eingriff, zumal die Aufzeichnungen „nur zur
Verfolgung von Straftaten verwendet werden" dürfen (S.2); Entsprechendes gilt für das Ab-
sehen von der Benachrichtigungspflicht gemäß Abs.3 S.2.

In § 15a Abs.2 n.F. ist vorgesehen, dass die Höchstfrist für die präventivpolizeiliche Auf-
zeichnung der Videoaufnahmen (ein Monat, dazu s.u. 9.) überschritten werden kann, wenn
sie nachträglich „zur Verfolgung von Straftaten benötigt" werden. In der vorgeschlagenen
Fassung bleibt unklar, ob auch kumulativ hierzu (oder nur kumulativ zur Annahme künftiger
Straftaten) „die Aufbewahrung ... zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich"
sein muss, womit eine doppelfunktionale Maßnahme besonders problematischer Prägung
vorläge (die freilich im Polizeirecht vieler Bundesländer um sich greift).

Spätestens mit der polizeilichen Erkenntnis, dass die per VÜ gewonnenen Daten „zur Verfol-
gung von Straftägen benötigt" werden, womit nur die Verfolgung konkreter Straftaten auf der
Grundlage eines entsprechenden Anfangsverdachts gemeint sein kann, schlägt das Polizei-
recht in Strafprozeßrecht um. Auch insofern wäre die .sauberere' Lösung - zumal im Sinne
des Art.72 Abs.2 GG (Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse) - eine
StPO-Regelung über die Zulässigkeit des Zugriffs auf präventivpolizeilich gewonnene Daten.


2. a) Wie sehen Sie den neuen § 15a in seiner Eingriffstiefe im Kontext zu entspre-
chenden Regelungen in anderen Ländern...

b) ... und halten Sie ihn für verfassungsrechtlich bedenklich?
c) Wie sind die Erfahrungen mit dem Instrument der Videoüberwachung in anderen
Bundesländern ?

a) Die geltende Regelung in § 15a zeichnet sich durch eine relativ geringe Eingriffstiefe aus
im Vergleich zu den meisten Regelungen anderer Bundesländer. Das ergibt sich einerseits
aus den hohen tatbestandlichen Hürden, andererseits aus der deutlichen Trennung zwischen
,bloßer' Beobachtung (Abs.1) und Aufzeichnung (Abs.2, an weitergehende Voraussetzungen
gebunden). Diese relative Liberalität (soweit die VÜ überhaupt unter Liberalität verbucht wer-
den darf) würde aufgegeben, wenn die geplante Neufassung Gesetz würde: Die nordrhein-
westfälische Regelung würde sich damit auf das Niveau jener Regelungen begeben, die bis-
her den weitestgehenden, weil nahezu tatbestandslosen VÜ-Eingriff zulassen (z.B. Hessen).
Dabei ist besonders bedenklich, dass die Abstufung zwischen Beobachtung und Aufzeich-
nung aufgegeben werden soll(s.u. 9.).

b) Ungeachtet der Regelungen anderer Bundesländer - und in Kenntnis anderer Auffassun-
gen in Rechtsprechung und Literatur - halte ich sowohl die geltende als auch die geplante
Regelung für verfassungsrechtlich bedenklich. Dabei geht es zwar nicht (mehr) um die Frage
einer Zulässigkeit derA/Ü (und sei es in Form sog. .bloßer Übersichtsaufnahmen') ohne spe-
zialgesetzliche Grundlage, denn eine solche liegt mit § 15a in der alten wie in der neuen
Fassung zweifellos vor, wohl aber um die Verhältnismäßigkeit des massiven Eingriffs in die
grundrechte einer Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern, die dafür offenkundig keinerlei An-
lass (Gefahrverdacht, Anfangsverdacht ...) geben außer sich ,zur falschen Zeit am falschen'
Ort zu bewegen.

c) Über „Erfahrungen" mit dem Instrument der VÜ in anderen Bundesländern (zu Bielefeld
s.u. 5.) liegen bisher meines Wissens valide, also erfahrungswissenschaftlich abgesicherte
Informationen nicht vor. Die erste wissenschaftlich fundierte Begleitforschung wird erst jetzt
in Brandenburg gestartet. Mit .Erfahrungsberichten' der städtischen und/oder polizeilichen
Betreiber von VÜ-Anlagen (deren Aufrichtigkeit damit keinesfalls in Zweifel gezogen werden
soll) sollte sich eine rationale Rechtspolitik nicht begnügen.

3. Dient die Aufzeichnung überhaupt der Gefahrenabwehr und ist die Videoüberwa-
chung als Mittel zur Gefahrenabwehr tauglich?

Im klassischen polizeirechtlichen Denken ist die VÜ keine Maßnahme der Gefahrenabwehr:
Sie richtet sich nicht gegen Störer, sondern allenfalls gegen Menschen, die eventuell Störer
(iSv Straftäter) werden könnten. Sie wehrt keine Gefahr ab, sondern will allenfalls versuchen
zur Vorsorge beizutragen, dass überhaupt Gefahren entstehen (iSv Straftaten begangen
werden). Ein .Kriminalitätsbrennpunkt' (dazu s.u. 6.) ist eben noch keine Gefahrenquelle,
sondern allenfalls ein sog. .gefährlicher' oder .gefährdeter' Ort (vgl. die Regelung zur ID-
Feststellung gemäß § 12 Abs.1 PoIG-NW).

Die VÜ ist eine prototypische Maßnahme vorbeugender Kriminalprävention, die im Zuge der
Polizeirechts-.Modernisierung' der 80er und 90er Jahre Einzug in die entsprechenden Lan-
desgesetze gehalten hat: In das PoIG-NW mit der Neufassung von 1980. Hier wurde in § 1
Abs.1 eine nur schwer entwirrbare Verknüpfung der „Gefahrenabwehr" (als „Aufgabe, Gefah-
ren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren" gemäß S.1) mit der .vorbeugenden Bekämp-
fung von Straftaten' (gemäß S.2) verankert, denn letztere Aufgabe hat die Polizei nur „im



- Die vorgesehene gesetzliche Neuregelung und Ausweitung der Videoüberwachung zur
Verhütung .einfacher' Straftaten ist - jenseits der Fragen ihrer Geeignetheit und Erforderlich-
keit - unverhältnismäßig, da der damit gegebenenfalls zu erzielende Erfolg der Verhütung
(wahrscheinlicher aber nur Verdrängung, s.u. 7.) einfacher Straftaten in keinem angemesse-
nen Verhältnis zu dem damit zwangsläufig verbundenen schweren Eingriff in das informatio-
nelle Selbstbestimmungsrecht einer Vielzahl völlig unbeteiligter, unverdächtiger und deshalb
nicht .polizeipflichtiger' Bürgerinnen und Bürger steht.1 Die Wende in der Wertung dieses
Spannungsverhältnisses durch die Autoren des Regierungsentwurfs (im Vergleich zu der
oben wiedergegebenen, gerade einmal zwei Jahre .alten' Begründung) ist nicht nachvoll-
ziehbar: Dass rein quantitativ Delikte wie Diebstahl, Körperverletzung und Sachbeschädi-
gung für sog. .Kriminalitätsbrennpunkte' (s.u. 6.) „typisch" sein mögen, war auch im Jahre
2000 schon bekannt und ist für sich genommen noch keine sachgerechte Begründung, zu-
mal jegliche Aussage dazu zu vermissen ist, warum die .bessere' Bekämpfung solcher Delik-
te die massenhafte und massive Beeinträchtigung des informationeilen Selbstbestimmungs-
rechts völlig unbeteiligter Bürgerinnen und Bürger legitimieren soll.

- Der Einsatz der Videoüberwachung auf der Grundlage eines ggfls. neu gefassten und aus-
geweiteten § 15a könnte lediglich unter Hinweis auf die Geringfügigkeit der damit zu verhü-
tenden Straftaten rechtlich nicht mehr als unverhältnismäßig gewertet werden, da der Ge-
setzgeber dann eine explizit andere Wertung vorgenommen und der Unverhältnismäßigkeit
damit Gesetzeskraft verliehen hätte. Bliebe nur die Rüge der Verfassungswidrigkeit des Ein-
griffs, die dann aber implizit die Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage behaupten
müsste - m.a.W.: Die Unverhältnismäßigkeit der geplanten gesetzlichen Regelung ließe sich
auf der Anwendungsebene und insbesondere im Rahmen des Rechtsschutzes (um den es
diesbezüglich ohnehin nicht gut bestellt ist) kaum mehr korrigieren.

5. Wie bewerten Sie die Auswertung des Modellversuchs Videoüberwachung Ravens-
berger Park'in Bielefeld?

Eine wissenschaftliche Evaluation des Pilotprojekts, die diesen Namen verdient, hat meines
Wissens nicht stattgefunden, die geplante Begleitforschung wurde vielmehr abgebrochen,
bevor sie überhaupt beginnen konnte, denn sie hätte nicht zu wissenschaftlichen Standards
entsprechenden Ergebnissen führen können.2

' Eher abwegig erscheint mir die Auffassung von Prof. Bücking (in seinem Abschlussbericht - s.u. - S.17 f.), eine
Gleichbehandlung der .Straftaten von erheblicher Bedeutung' mit sog. .einfachen Straftaten' sei verfas-
sunsgrechtlich sogar geboten. Damit wird das ohnehin heftig umstrittene vermeintliche .Grundrecht auf Sicher-
heit' in seinem verfassungsrechtlichen Wirkungsgrad erheblich überdehnt. Die vom BVerfG herausgearbeitete
.Schutzpflicht des Staates' ist nur ein Element der Abwägung, die bei widerstreitenden Grundrechtspositionen
vorrangig durch den Gesetzgeber vorzunehmen ist. Dass es diesem versagt wäre, einen Grundrechtseingriff
(hier: durch die VÜ) nur dann zuzulassen, wenn damit Straftaten von erheblicher Bedeutung verhin-
dert/aufgeklärt ... werden können, lässt sich der Rechtsprechung des BVerfG nicht entnehmen. Die Differenzie-
rung der Anlasstaten je nach Eingriffstiefe ist im Polizei- und im Strafverfahrensrecht gang und gäbe, weshalb
auch der Hinweis auf § 100c Abs.1 Nr.1a StPO (aaO S.17) fehl geht: Die dort geregelten „geheimen Ermittlun-
gen" sind mit der offenen VÜ nach PolG nicht zu vergleichen, zumal sie ein bereits laufendes Ermittlungsverfah-
ren voraussetzen und sich gegen andere Personen als den Beschuldigten nur unter erschwerten Bedingungen
(§ 100c Abs.2 S.2 StPO) richten dürfen - dass es in diesem Schnittfeld zwischen Landespolizeirecht und Bun-
desstrafprozessrecht Klärungsbedarf gibt, wurde unter 1. dargelegt). Im polizeirechtlichen Kontext auf den Le-
galitätsgrundsatz zu verweisen (so Drs. 13/2280 S.1 und 5) führt - jenseits der o.g. gesetzlichen Differenzierun-
gen - vollends in die Irre.

2 Erst Anfang Dezember 2002 wurde in Bielefeld eine telephonische Emnid-Bürgerbefragung zur Ravensberger
VÜ gestartet, deren Auftraggeber mir nicht bekannt ist: Über Ergebnisse ist bisher m.W. nichts an die öffent-


In die Öffentlichkeit gelangt war jedoch zunächst eine .Auswertung' durch die Bielefelder Po-
lizei, mit der sie ihr eigenes Projekt bilanzierte (Zwischenbericht, Stand 1.12.2001), die dann
später Einzug gefunden hat in den „Abschlussbericht zum Projekt .Videoschutz Ravensber-
ger Park'" (FHöV, Prof. Bücking, Stand 22.7.2002). Danach muss - entgegen der Wertungen
von Prof. Bücking - das Pilotprojekt als gescheitert angesehen werden, was bereits damit
anfängt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß'§ 15a (geltende Fassung) nicht vor-
lagen, als die Kameras auf Sendung gingen. Im Jahr 2000, dem Jahr vor Inbetriebnahme der
VÜ im .Ravensberger Park', ging die Zahl der Straftaten von erheblicher Bedeutung so weit
zurück, dass von einem irgendwie gearteten .Kriminalitätsbrennpunkt' (s.u. 6.) nicht mehr
gesprochen werden konnte (wenn es denn jemals einer war). Ob dieser Rückgang darauf
zurückzuführen ist, dass in der Öffentlichkeit laut über die Installation von Kameras nachge-
dacht und dies gegen Ende 2000 schließlich beschlossen und verkündet wurde (so die ,Pla-
cebo'-Analyse der Bielefelder Polizei, von Prof. Bücking übernommen), ist reine Spekulation
(und blendet andere mögliche Ursachen aus) und hätte im Übrigen auch als Argument dafür
herhalten können, die Kameras gar nicht mehr zu installieren, zumindest aber - mangels Er-
forderlichkeit - niemals auf Sendung gehen zu lassen.

Fakt ist hingegen, dass im Jahre 2001, also während der Laufzeit des Pilotprojekts, die Zahl
der Straftaten von erheblicher Bedeutung wieder zunahm. In der Bilanz der Bielefelder Poli-
zei - insofern von Prof. Bücking prolongiert3 - ließ sich dieser Befund nur so .verschleiern'
(anders kann man es nicht nennen), dass die Jahre 2000 und 2001 zusammengefasst und
den Jahren 1998 und 1999 gegenüber gestellt wurden (bzw. das Jahr 2001 dem Jahr 1999).
Vor Beginn der VÜ war der Ravensberger Park offenbar kein .gefährlicher Ort', während der
VÜ wurde er hingegen zu einem .gefährlichen' Ort, und sei es .nur' für das informationeile
Selbstbestimmungsrecht der Bielefelder Bürgerinnen und Bürger.

Wie ist nach alledem der Bielefelder Modellversuch zu bewerten? Mit Zurückhaltung ließe
sich sagen, er hat nichts gebracht (außer vielleicht der - empirisch aber ebenfalls nicht gesi-
cherten - Erkenntnis, dass möglicherweise schon das Reden über VÜ präventiv wirkt). Wahr-
scheinlich war das Pilotprojekt auch von vornherein zum Scheitern verurteilt4, weil es in Bie-
lefeld - ausweislich der PKS nun einmal eine der sichersten Städte der Republik - gar keine
.Kriminalitätsbrennpunkte' gab und gibt. Anzeichen dafür, dass es zu einer bloßen Kriminal-
verdrängung - zum Beispiel in andere Parks der Stadt - gekommen ist (so eine Meldung der
Neuen Westfälischen vom 24.8.2001) wurden meines Wissens nicht weiter verfolgt oder
pauschal dementiert.5 Dass diese .Erfahrungen' nunmehr als Hintergrund dafür dienen sol-
len, die polizeirechtlichen Grundlagen für die VÜ in NRW auszuweiten, ist für Bürgerinnen
und Bürger, die - nicht nur in Bielefeld - um die Liberalität in .ihren' Städten besorgt sind, bit-
ter.

lichkeit gelangt, der Fragenkatalog begegnet jedoch einigen methodischen Bedenken (kann auf Nachfrage aus-
geführt werden).

Auch der durch das Team von Prof. Bücking vorgenommene Abgleich mit den Zahlen eines anderen Bielefel-
der Parks erbringt in Anbetracht der - wie er selbst und ebenso der Innenminister Behrens in seinem Anschrei-
ben an diesen Ausschuss vom 25.7.2002 einräumt - „schmalen Datenbasis" keinen validen Erkenntnisgewinn.
Die Annahme eines Erfolges der VÜ wegen des Rückgangs der Zahlen zwischen 1999 und 2001 überzeugt
schon deshalb nicht, weil dieser ausschließlich auf den Wegfall der sog. .opferlosen' BtmG-Delikte zurückzufüh-
ren ist - dass diese Delikte stattdessen an anderen Orten der Stadt begangen worden sind (Verlagerungseffekt),
kann niemand ernsthaft bezweifeln.

4 Dies kam bereits in der damaligen Landtagsdebatte zum Ausdruck, vgl. Landtag intern v. 4.10.2000 3.8.
5 Ob insofern die derzeit laufende 2. Stufe der Studie „Videoschutz Ravensberger Park" (Prof. Bücking), die
versucht, über Interviews mit Mitgliedern evtl. verdrängter .Promblemgruppen' deren Reaktion auf bzw. Umge-
hensweise mit der VÜ in Erfahrung zu bringen, valide Erkenntnisse bringt, muss zumindest in puncto .Zugang
zum Feld' bezweifelt werden.


6. a) Wie definieren Sie den Begriff,Kriminalitätsbrennpunkt'?
b) Nach welchen Kriterien sollte vor Ort entschieden werden?

a) .Kriminalitätsbrennpunkt' ist kein Rechtsbegriff, weder in NRW noch in anderen Bundes-
ländern, sondern wenn überhaupt ein polizeitaktischer/kriminalistischer (vgl. auch den IMK-
Beschluss Nr.23 vom 5.5.2000), meines Wissens aber noch nicht einmal ein kriminologi-
scher6 - die begriffliche Anlehnung an sog. .soziale Brennpunkte' ist sicher nicht zufällig.7 Den
Begriff zu definieren impliziert bereits die Legitimität des Einsatzes der VÜ an solchen Punk-
ten und zäumt damit das Überwachungspferd von hinten auf. Vorrangig wäre zu klären, ob
eine solche VÜ öffentlich zugänglicher Orte verfassungsrechtlich legal und kriminalpoltisch
legitim ist und ggfls. unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen - ob die so definier-
ten Orte dann mit dem Etikett .Kriminalitätsbrennpunkt' versehen werden, verbliebe eine Fra-
ge der öffentlichen Darstellung. Um aber ,im Bilde' zu bleiben: Wahre Kriminalitätsbrenn-
punkte muss man löschen, nicht beobachten. Zum .Löschen' stehen verschiedene Eimer be-
reit, und man wird jeweils genau hinsehen müssen, welche am besten geeignet sind. Der
Eimer mit der Aufschrift ,VÜ' hat aber m. E. zu viele Löcher...

Der Versuch der geplanten Neufassung, die unausgesprochene Legaldefinition dahingehend
zu präzisieren, dass sich .Kriminalitätsbrennpunkte' dadurch auszeichnen, dass an ihnen
nicht nur (wie bisher) „wiederholt Straftaten begangen wurden" (zum Wegfall der .Erheblich-
keit' s.o. 4.), sondern darüber hinaus „deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten be-
günstigt", ist beachtlich8, entbehrt aber sowohl einer hinreichenden empirischen Grundlage
(was die kleine Zunft der Kriminalgeographen anders sehen mag) als auch einer hinreichen-
den Plausibilität: Wenn denn - einerseits - festgestellt ist, dass an einem Ort wiederholt Straf-
taten begangen wurden und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort weitere Strafta-
ten begangen werden,'warum soll dann eine VÜ nur deshalb nicht zulässig sein, weil die Be-
schaffenheit dieses Ortes die Begehung dieser Straftaten nicht begünstigt hat? Wenn aber -
andererseits - festgestellt ist, dass die Beschaffenheit eines Ortes die Begehung von Strafta-
ten begünstigt, warum wird er dann lediglich beobachtet, anstatt diese ,kriminogene' Be-
schaffenheit zu ändern?

Wenn nicht behauptet werden soll, dass das ganze Land, oder jedenfalls die Städte des
Landes gewissermaßen .Kriminalitätsflächenbrände' sind, so müssen sich vermeintliche
.Kriminalitätsbrennpunkte' doch deutlich vom übrigen .normalen' Kriminalitätsgeschehen ab-
heben. Erforderlich wären also komparative Studien (polizeitaktisch: Lagebeschreibungen),
die an bestimmten Punkten einer Stadt zumindest für eine gewisse Dauer eine signifikant
höhere Kriminalitätsbelastung nachvollziehbar (und das heißt ggfls. auch gerichtlich nach-
prüfbar) belegen.9 Die vorgeschlagene Formulierung - zumal unter Wegfall der Eingrenzung

6 im Wörterbuch der Polizei (hrsg. von H.W.Möller, München 2001) findet er jedenfalls keine Erwähnung
7 die Assoziation der Krimninalitäts-Brennpunkte mit den Brennpunkten von Videokameras ist aber auch nicht
frei von Ironie

8 Dass durch diese Formulierung verhindert wird, „dass eine VÜ an örtlichkeiten erfolgt, an denen ausschließ-
lich mit sog. Verdrängungseffekten zu rechnen ist" (so Drs.13/2854 S.54), ist allerdings kaum nachvollziehbar.

9 Bezieht man sich dabei auf die Häufigkeitszahl der PKS-NRW für die sog. .Straßenkriminalität' in 2001 (ca.
2.500), kommt man auf einen Mittelwert von ca. 7 Delikten pro 100.000 Einwohner pro Tag, umgerechnet auf
eine Stadt wie Bielefeld (ca. 320.000 Einw.) also knapp 25 Delikte pro Tag (bzw. rund 8.000 pro Jahr). Dies
wäre eine der Messlatten für die Frage, wo gegebenenfalls ein .Kriminalitätsbrennpunkt' auszumachen ist, wo-
bei noch zu berücksichtigen wäre, dass im Innenstadtbereich ohnehin deutlich mehr Delikte begangen werden,
als in den Außenbezirken. Zum Vergleich: lm Jahr 2000 (also dem Jahr vor Einführung der VÜ) wurden im Ra-
vensberger Park 58 Straftaten registriert (bei denen es sich z.T. auch noch um Delikte handelte, die nicht im
o.g. Katalog der sog. .Straßenkriminalität' erfasst werden; im Übrigen stimmt jener Katalog aber auch nicht mit
dem Katalog der .Straftaten von erheblicher Bedeutung' gemäß § 8 Abs.3 PolG überein) - dass es sich bei die-
sem Park gegenüber den knapp 8.000 Delikten im übrigen Stadtgebiet damit um einen .Kriminalitätsbrennpunkt'
gehandelt haben soll, ist nicht recht nachvollziehbar.


durch die .Erheblichkeit' der Straftaten (s.o. 4.) - könnte hingegen kaum verhindern, dass
Städte, insbesondere Innenstädte zukünftig Kriminalitätsbrennpunkte wie Sommersprossen
tragen. Gegen die flächendeckende VÜ (ä la Großbritannien) schützte dann allenfalls das
Tatbestandsmerkmal „einzelne" öffentlich zugängliche Orte - freilich unzureichend ...

Soll die VÜ tatbestandlich eingrenzt werden, dann vielleicht noch am ehesten dadurch, dass
man dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz explizit Geltung verschafft und den Einsatz der VÜ
davon abhängig macht, ob Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ohne den Einsatz der
VÜ ein Rückgang der Kriminalität auf ein .normales' Maß nicht zu bewerkstelligen sei.

b) Vor Ort sollte m.a.W. über den VÜ-Einsatz danach entschieden werden, ob es sich um
einen Ort handelt, der eine dermaßen signifikant höhere Kriminalitätsbelastung (mit Delikten
der sog. .Straßenkriminalität' von erheblicher Bedeutung) aufweist, dass dem nur (noch) mit
dem Einsatz von VÜ-Kameras begegnet werden kann, weil sich alle anderen Maßnahmen
(verstärkte Polizeipräsenz bzw. Streifentätigkeit, Raumgestaltung und -nutzung, Beleuch-
tung, soziale Angebote für .Problemgruppen'...) als ungeeignet erwiesen haben. Ich will nicht
verhehlen, dass ich auf dieser Grundlage eine sachlich nachvollziehbare Entscheidung für
den VÜ-Einsatz als unwahrscheinlich erachte.

7. In der Debatte um Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist oft von Verdrängung
der Kriminalität die Rede.

Wie schätzen Sie die Verdrängungsproblematik hinsichtlich des überwachten Raums
und angrenzender Gebiete auch insgesamt für ein Stadtgebiet und kriminalgeographi-
scher Räume ein?

Die Frage wird nicht ganz klar. Wie bereits angemerkt liegen valide empirische Erkenntnisse
zur Effektivität von VÜ nicht vor (auch die anfänglichen Erfolgsmeldungen aus Großbritan-
nien wurden mittlerweile relativiert). Auf der Plausibilitätsebene ist allerdings der Verdrän-
gungseffekt wahrscheinlicher, als ein echter kriminalpräventiver Sicherheitsgewinn. Dass
Personen, die entschlossen sind, eine Straftat zu begehen, sich durch die VÜ an einem Ort
endgültig davon abbringen lassen, den Entschluss umzusetzen, ist nicht realitätsnah, eher
schon, dass sie stattdessen an solchen Orten nach entsprechenden Gelegenheiten suchen
werden, die der verstärkten polizeilichen Aufmerksamkeit entgehen, weil es sich (noch) nicht
als .Kriminalitätsbrennpunkte' im Visier sind.

So gesehen hat die Verdrängungsproblematik mehr als zwei Seiten: Während sich die durch
Kameraobjektive geschärfte präventivpolizeiliche Aufmerksamkeit auf vermeintliche Krimina-
litätsbrennpunkte richtet, wird die Problematik anderer Orte ebenso verdrängt wie die Suche
nach alternativen Lösungen. Wie das Bielefelder Beispiel zeigt, wird sogar die Verdrän-
gungsproblematik selbst verdrängt, die im Übrigen zu einer gefährlichen Eigendynamik der
Überwachungsstrategie führen könnte: Der Zunahme von Straftaten an anderen Orten müss-
te - der eigenen Logik folgend - wiederum mit dem Einsatz der VÜ begegnet werden, womit
eine .Londonisierung' einsetzte, die in der Konsequenz zu einer flächendeckenden VÜ Or-
well'scher .Qualität' führen dürfte. Das Versprechen, der entscheidende Unterschied zum
.großen Bruder von 1984' sei die verfassungsrechtliche Bindung der Beamten an den VÜ-
Monitoren und der dahinter stehenden Behörde, wäre dann nicht mehr viel wert. In diesem
Zusammenhang sei erinnert an zentrale Aussagen des BVerfG in der wegweisenden Ent-
scheidung zur Unzulässigkeit der Volkszählung von 1983, die im VÜ-Kontext von besonderer
Aktualität sind:


Das informationeile Selbstbestimmungsrecht „gewährleistet insoweit die Befugnis
des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner
persönlichen Daten zu bestimmen. ... Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und
künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße
des Schutzes
.....Damit haben sich in einer bisher unbekannten Weise die Möglich-
keiten einer Einsicht- und Einflußnahme erweitert, welche auf das Verhalten des
Einzelnen schon durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme einzuwir-
ken vermögen.

Individuelle Selbstbestimmung setzt aber - auch unter den Bedingungen moder-
ner Informationsverarbeitungstechnologien - voraus, daß dem Einzelnen Entschei-
dungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließ-
lich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tat-
sächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann,
welche ihn betreffende Information in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt
bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einiger-
maßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden,
aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese
ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen
können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher
ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information weiter-
gegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.
Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bür-
gerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen kön-
nen, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte
(Art. 8,9 GG)verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen
des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestim-
mung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungs-
fähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens
;sf."(BVerfGE65,1)

Die Gesellschaft hat sich seit langem mit einem gewissen Ausmaß an Kriminalität eingerich-
tet. Die Kriminalitätsentwicklung erscheint einigermaßen unbeeinflusst (möglicherweise auch
unbeeinflussbar) von Maßnahmen der Strafverfolgung und/oder Kriminalprävention, was
auch immer in den vergangen Jahren und Jahrzehnten versucht wurde. Warum ausgerech-
net die punktuelle VÜ zu einem realen Kriminalitätsrückgang führen soll und nicht zu bloßer
Verdrängung, ist völlig unerfindlich.

8. a) Ist aus Ihrer Sicht durch die Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten ein
objektiver Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung gegeben ?

b) Bedarf es eines vermehrten Personaleinsatzes, um mit dem Instrument der Video-
überwachung einen effektiven Schutz vor Straftaten zu bewirken? Könnte man nicht
stattdessen verstärkte Streifengänge durchführen?

c) Muss/kann der Überwachungsmonitor mit Personal besetzt werden und welcher
Aufwand ist hierfür notwendig?

a) Die Frage nach dem „objektiven" Sicherheitsgewinn gibt zunächst Anlass zu der Anmer-
kung, dass ein möglicherweise eintretender (empirisch aber meines Wissens ebenfalls noch


gegenüber würde eine Aufzeichnung, die ja nur bei Ausschnittsvergrößerungen Sinn macht,
auf denen Individuen zu identifizieren sind, lediglich stattfinden, wenn die Übersichtsbeo-
bachtung den Anfangsverdacht einer Gefahr oder einer Straftat ergeben habe (ähnlich bisher
§ 15a Abs.3). Zwar stellt nach richtiger Auffassung auch bereits die sog. .Übersichtsaufnah-
me' einen Rechtseingriff dar (was hier nicht vertieft werden muss), die Aufzeichnung perso-
nenbezogener Bilder ist aber zweifellos ein deutlich weiter gehender Eingriff, der an zusätzli-
che Voraussetzungen geknüpft werden muss.11 Dass dieses Stufenverhältnis mit der geplan-
ten Neufassung des § 15a Abs.1 eingeebnet werden soll, indem Beobachtung und Aufzeich-
nung gleich behandelt werden12, ist ein gravierender Rückschritt gegenüber der bisherigen
Regelung, für den ein sachgerechter Grund nicht erkennbar ist.

Neu eingeführt wird die Aufzeichnung übertragener VÜ-Bilder zur Verhütung von Straftaten
(also zur Gefahrenabwehr, Abs.1 S.1 n.F.), insofern erweckt die Begründung (Drs.13/2854
S.54) den unzutreffenden Eindruck, dies sei bisher in Abs.2 geregelt gewesen. Wie mit der
Aufzeichnung Straftaten verhütet werden sollen, wird allerdings nicht ersichtlich. Dass § 100c
Abs.1 StPO bei Vorliegen eines Verdachts eine abschließende Regelung trifft (so die Be-
gründung aaO), trifft zu (s.o. zu 1.), gilt aber nur für den Straftatverdacht. Der Hinweis auf die
Verpflichtung zur Benachrichtigung betroffener Personen in § 101 StPO (aaO) gilt deshalb
gerade nicht für die neu einzuführende gefahrenabwehrende Aufzeichnung gemäß § 15a
Abs.1 S.1 n.F., weshalb es insofern einer Ergänzung (ähnlich dem bisherigen Abs.3) bedarf.

Die präventiv-polizeirechtliche Befugnis zum Informationseingriff durch Speicherung der Vi-
deoaufnahmen soll - so der erkennbare Wille der Verfasser des Regierungsentwurfs - auf
einen Monat beschränkt bleiben, soweit es gemäß Abs.2 iVm Abs.1 S.1 n.F. um die „Verhü-
tung von Straftaten" geht. Geht es jedoch um die .vorbeugende Bekämpfung von Straftaten',
soll gemäß Abs.2 n.F. eine längere Speicherung auch dann zulässig sein, wenn „Tatsachen
... die Annahme [rechtfertigen], dass eine Person künftig Straftaten begehen wird". Diese
Konstruktion erscheint mir höchst widersprüchlich und letztlich auch nicht akzeptabel. Eine
Aufzeichnung sollte - wenn überhaupt - nur zu Beweiszwecken erfolgen (ggfls. auch als Be-
weis für die Notwendigkeit polizeirechtlichen Einschreitens), nicht hingegen zu allgemein kri-
minalpräventiven Zwecken.

Nicht hinnehmbar wäre in jedem Fall die Aufzeichnung lediglich aus organisatorischen Grün-
den (etwa mit dem Ziel einer späteren Auswertung). Insofern ist auch nicht ganz nachvoll-
ziehbar, zu welchem Zweck die Aufzeichnungen einen ganzen Monat lang aufbewahrt wer-
den sollen - in anderen Ländern sind z.T. deutlich kürzere Fristen verankert worden.

Nachtrag (zu Drs.13/2280)
Soweit ersichtlich bezieht sich keine Frage ausdrücklich auf den CDU-Entwurf. Ich will dazu
abschließend nur kurz Stellung nehmen, zumal die Position nach den vorherigen Ausführun-
gen nahe liegen dürfte:

Der Verzicht auf jegliche tatbestandlichen Voraussetzungen in § 15a Abs.1 S.1 wäre
zwar nicht ohne Vorbild (ähnlich Hessen und Niedersachsen ...), aber gleichwohl völlig inak-

" So bereits sehr eindringlich die Entschließung der Datenschutzbeauftragten „Risiken und Grenzen der Video-
überwachung" vom 15.3.2000, wonach u.a. „eine differenzierte Abstufung zwischen Übersichtsaufnahmen, dem
gezielten Beobachten einzelner Personen, dem Aufzeichnen von Bildern und dem Zuordnen dieser Daten zu
bestimmten Personen ... strikt sichergestellt werden" müsse.

12 In diesem Zusammenhang eine kurze Anmerkung zu § 15a Abs.1 S.2 n.F.: Noch wichtiger als der - selbstver-
ständlich erforderliche - Hinweis auf die Video-Beobachtung wäre der Hinweis darauf, dass die übertragenen
Bilder für die Dauer von bis zu einem Monat - ggfls. sogar länger - aufgezeichnet werden (können).


zeptabel. Auch insofern empfehle ich die Berücksichtigung der Stellungnahme der Daten-
schutzbeauftragten vom 15.3.2000: Zwar ist die Klausel „Zur Verhütung von Straftaten" eine
Zweckbindung, aber keine „strenge", denn es handelt sich lediglich um einen Ausschnitt aus
der allgemeinen polizeilichen Aufgabenstellung (§ 1 Abs.1 S.2). Die erforderliche Verhältnis-
mäßigkeit zwischen Eingriffstiefe und verfolgtem Zweck wäre bei einer solchen Konstruktion
nicht einmal mehr ansatzweise gewährleistet. Einziger Vorzug dieses Vorschlags gegenüber
dem Regierungsentwurf wäre allerdings die Beibehaltung der Trennung zwischen Beobach-
tung (Abs.1), Aufzeichnung (Abs.2) und individueller Zuordnung (Abs.3).

Die Begründung zu diesem Vorschlag bedarf allerdings einer weiteren Anmerkung: Es
kann nicht richtig sein, dass eine einmal begonnene VÜ nie wieder abgestellt werden darf,
nur weil der überwachte Ort wieder zu einem Kriminalitätsschwerpunkt werden könnte. Mit
der gleichen Begründung müssten letztlich alle Orte überwacht werden, bevor sie überhaupt
zu einem Kriminalitätsschwerpunkt werden können - was die vorgeschlagene Regelung in
der Tat ermöglichte. Das kann ernsthaft niemand wollen. Die durch diese Begründung auf-
gedeckte .Zwickmühle' der VÜ ist gewissermaßen ein strukturelles Problem aller Überwa-
chungsmaßnahmen, folgt aber letztlich zwingend aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,
wonach Rechtseingriffe zu unterbleiben haben, die nicht erforderlich sind. Die Fortsetzung
einer VÜ über ihren .Erfolg' hinaus (der in Bielefeld, wie dargelegt, gar keiner war) ließe sich
wenn überhaupt nur mit der tatsächlich abgesicherten Erkenntnis begründen, dass deren
Beendigung zwangsläufig wieder zu einem Anstieg der Kriminalität auf ein überdurchschnitt-
liches Niveau führen würde. Dieser .Beweis' wäre nicht nur schwierig zu führen, sondern
zugleich ein Armutszeugnis für die kommunale Präventionspolitik.

Schlußbemerkung
Es dürfte deutlich geworden sein, dass ich diese Form der Videoüberwachung grundsätzlich
ablehne und deshalb weder die geltende polizeirechtliche Regelung verteidigen noch gar die
neuen Vorschläge befürworten kann (wenn auch erstere das .kleinere Übel' darstellt). Es
stände Nordrhein-Westfalen gut zu Gesicht, an die frühere liberale Polizeirechtstradition des
Landes anzuknüpfen und § 15a wieder zu streichen.