Beschluß der
Landesdelegiertenkonferenz vom 23.5-24.5.03 in Düsseldorf
Bürgerrechte
sichern - Big Brother verhindern !
Die geplante Polizeigesetz-Novellierung in NRW zur erleichterten
Videoüberwachung und Rasterfahndung ablehnen!
Die Landesdelegiertenkonferenz
möge beschließen:
Bündnis 90/
Die Grünen verstehen sich als Bürgerrechtspartei und als Anwältin
der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.
Deshalb spricht sich die Landesdelegiertenkonferenz gegen den Gesetzentwurf
der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Änderung des
Polizeigesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes vom 31.07.2002 (LT-Dr.
13/2854) aus.
Die dort vorgesehenen erheblichen Verschärfungen polizeilicher Grundrechtseingriffe
- insbesondere der Videoüberwachung und der Rasterfahndung - sind
unverhältnismäßig und widersprechen der rechtsstaatlichen
und grundrechtsschützenden Tradition der Grünen.
Begründung:
I. Zur geplanten
Erweiterung der Möglichkeiten zur Videoüberwachung, § 15
a PolG NRW
Die Überwachung öffentlicher Plätze mittels Videokameras
ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte zahlloser unbescholtener
Bürger. Bereits die Anwesenheit der Kameras stellt wegen der durch
sie hervorgerufenen Unsicherheit, ob ein Verhalten behördlich registriert
wird, einen Grundrechtseingriff dar. Denn der durch die Kameras bewirkte
"psychische Druck öffentlicher Anteilnahme" erzeugt einen
Konformitätsdruck, der geeignet ist, die Bürger von der Ausübung
ihrer Grundrechte, z.B. von der Organisation spontaner Versammlungen,
abzuhalten.
1. Unverhältnismäßigkeit
der geplanten Regelung
Deshalb genügt ein Gesetz, das die Polizei zur Videoüberwachung
ermächtigt, nur dann dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,
wenn es die Maßnahme von Bedingungen abhängig macht, die sicherstellen,
dass die Überwachung nur zur Verfolgung schwerwiegender Kriminalität
und ausschließlich an Kriminalitätsbrennpunkten erfolgen darf.
Bereits die alte Fassung des § 15 a PolG begegnete insoweit Bedenken,
denn sie ermöglichte die Überwachung bereits z.B. zur Verhinderung
von Delikten wie etwa eines Fahrraddiebstahls (§ 243 StGB).
Nach dem von der Landesregierung
vorgelegten Entwurf soll die Videoüberwachung dagegen nunmehr nahezu
schrankenlos ermöglicht werden. Die Beschränkung auf "Straftaten
von erheblicher Bedeutung" wird aufgegeben. Begründet wird dies
damit, dass die Maßnahme auch für die Verhütung von "Diebstahl,
Körperverletzung und Sachbeschädigung" eingesetzt werden
soll. Dabei wird verschwiegen, dass weite Bereiche der Diebstahls- und
Körperverletzungsdelikte bereits nach der bisher geltenden Rechtslage
von der Ermächtigung erfasst waren. Damit wird zugleich die Stoßrichtung
der Reform deutlich, denn übrig bleibt vor allem die Sachbeschädigung,
also insbesondere der Einsatz der Videoüberwachung zur Bekämpfung
von Graffiti und anderen Formen von Bagatellkriminalität.
Die wenigen Einschränkungen
der Videoüberwachung, die die Grünen bei der Einführung
des § 15 a PolG im Jahr 2000 (!) erreichen konnten, werden damit
hinfällig.
Die Maßnahme wird auch keineswegs auf "Kriminalitätsbrennpunkte"
beschränkt bleiben, sondern ihren Befürwortern geht es gerade
auch um die flächendeckende Überwachung der Innenstädte,
wie die bisherigen Erfahrungen mit der Videoüberwachung belegen.
So werden etwa die Haupteinkaufsstraßen der Innenstadt Mannheims
mit Videokameras überwacht und mit Billigung der Verwaltungsgerichte
pauschal zu sog. "Kriminalitätsschwerpunkten" erklärt
(vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, NVwZ 2002, 117).
Letztlich ist damit in der gesetzlichen Regelung keine Einschränkung
der Maßnahme mehr enthalten. Es bleibt allein dem Gutdünken
der örtlichen Polizei überlassen, ob sie von der Ermächtigung
Gebrauch macht oder nicht.
Dieser Gesetzentwurf ist mit den Mindestanforderungen, die der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit und der Grundrechtsschutz von
vollkommen unverdächtigen Bürgern an den Gesetzgeber stellen,
nicht vereinbar.
Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn in dem Gesetz
eine Befristung und eine Pflicht zur Evaluation vorgesehen würde.
Zudem gibt es keinen Beleg für den angebliche Nutzen der Maßnahme
zur Verringerung der Kriminalität. So gelangt eine im Auftrag der
britischen Regierung erstellte wissenschaftliche Studie der Forschungsgesellschaft
Nacro (zitiert in Spiegel-online vom 15.08.2002) zu dem Ergebnis, dass
die in Großbritannien schon länger als in Deutschland praktizierte
Videoüberwachung nicht zu einem erwähnenswerten Rückgang
der Kriminalität geführt hat. Die Anbringung einer verbesserten
Straßenbeleuchtung trage zur Kriminalitätsverhütung mehr
bei als die Videoüberwachung. Ebenso erfolglos verlief der inzwischen
abgebrochene Modellversuch einer Videoüberwachung in Bielefeld (Presseerklärung
des FoeBuD e.V., Bielefeld, vom 18.07.2002; Presseerklärung Bündnis
90/ Die Grünen, Kreisverbandes Bielefeld vom 18.07.2002).
Die Videoüberwachung
öffentlicher Plätze und insbesondere der Innenstädte breitet
sich in Deutschland aus wie ein Ölteppich (Leipzig, Mannheim, Sylt,
Stuttgart, Dresden, Berlin, Frankfurt, Freiburg, Halle, Hamburg, Kassel,
Köln, Magdeburg, Regensburg, Bielefeld). Der Gesetzentwurf ebnet
dieser Entwicklung den Weg nach NRW.
2. Die Begründung
des Entwurfes: Ein substanzloser Etikettenschwindel
Zu Unrecht
beruft sich die Entwurfsbegründung wortreich auf die Ereignisse des
11.September 2001, um den Eindruck zu erwecken, der zusätzliche Grundrechtseingriff
erfolge zur Terrorismusbekämpfung. Ein solches Vorgehen, nämlich
das Vorschieben eines scheinbar unabweisbaren Anlasses ("11. Sept.";
"Organisierte Kriminalität"; "Terrorismus") zur
Durchsetzung von Grundrechtseingriffen, die damit nicht das geringste
zu tun haben, war kennzeichnend für die Regierung Kohl, die wir deshalb
stets scharf kritisiert haben. Nunmehr unterstützen die Mitglieder
der Landesregierung in Düsseldorf exakt einen solchen Etikettenschwindel.
Die Videoüberwachung wird keinen Beitrag zur Ergreifung von Terroristen
leisten, aber sie stellt neben der zunehmenden Telefonüberwachung
und anderen Lauschangriffen einen weiteren Mosaikstein auf dem Weg in
einen Überwachungsstaat orwellscher Prägung dar.
3. Big Brother
Award für Innenminister Behrens
Zu Recht erhielt Innenminister Behrens daher im Jahr 2002 für
den o.g. Gesetzentwurf den "Big Brother Award", der jährlich
von Bürgerrechtsorganisationen für die grundrechtsfeindlichsten
Aktionen im Bereich der Überwachungstechnologien vergeben wird.
II. Zur geplanten
Erweiterung der Rasterfahndung, § 31 PolG NRW
Auch die Rasterfahndung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in
die Grundrechte zahlloser Unschuldiger dar. Allein in NRW wurden im Zuge
der Rasterfahndung nach dem 11. Sept. 2001 die Daten von 5 Mio. (!) Männern
erhoben. Trotz dieser enormen Grundrechtseingriffe hat die bundesweite
Rasterfahndung in keinem einzigen Fall zu einem Fahndungserfolg geführt.
Aus diesen Gründen hat u.a. etwa die ehemalige Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts - Jutta Limbach - am 10.05.2002 in einer Rede
vor dem Dt. Anwaltstag eindeutig Position gegen die Rasterfahndung bezogen.
Es muss daher ein grünes Projekt sein, etwa die ASten der Unis bei
ihrer Gegenwehr gegen diesen Massengrundrechtseingriff zu unterstützen.
Statt dessen will die Landesregierung NRW die entscheidende gesetzliche
Voraussetzung einer "gegenwärtigen Gefahr" streichen, damit
Urteile wie dasjenige des OLG Frankfurt, das die Rasterfahndung untersagt
hat, weil eine gegenwärtige Gefahr in Deutschland nicht bestand,
künftig nicht mehr möglich sind.
III. Zusammenfassung
Der Gesetzentwurf widerspricht jeder rechtsstaatlichen und grundrechtsschützenden
Tradition der Grünen und stellt unsere bisher exzellenten Kontakte
zu Bürgerrechtsorganisationen wie etwa der Humanistischen Union massiv
in Frage. Das Porzellan, das hier zerschlagen wurde, wird nur mühsam
zu kitten sein. Das zeigt sich deutlich an der Pressemitteilung der Humanistischen
Union vom 15.01.2003, in der es zum Verhalten der grünen Landtagsfraktion
heißt:
"Muss sich, wer eine Bürgerrechtspartei sucht, zurück an
die FDP wenden ? Eine rationale Kriminalpolitik werde hier von der rot-grünen
Koalition durch populistisches Fuchteln mit untauglichen Instrumenten
ersetzt."
Die Mitglieder
des nordrhein-westfälischen Landtages sind aufgerufen, diesen Angriff
auf die Bürgerrechte zahlloser unbescholtener Personen zu verhindern
und den Gesetzentwurf abzulehnen.
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