(aktualisiert:
25.06.2003
) Gemeinsame Erklärung von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern
vom 6.6.2003
Big Brother verhindern - Bürgerrechte sind keine Verhandlungsmasse!
Die NRW-SPD-Führung
bekundet in einem Positionspapier zu den gegenwärtig stattfindenden
Koalitionsgesprächen in Düsseldorf ihre Absicht, "die landesgesetzlichen
Voraussetzungen für einen breiteren Einsatz von Videoüberwachung,
Rasterfahndung und des Platzverweises [zu] schaffen und den Vorgaben der
Rechtsprechung anzupassen."
Hierzu erklären
die Unterzeichner:
Die von der SPD-Führung geplanten erheblichen Verschärfungen
polizeilicher Grundrechtseingriffe - insbesondere der Videoüberwachung
und der Rasterfahndung - sind unverhältnismäßig und verletzen
die Grundrechte zahlloser unbescholtener Bürgerinnen und Bürger,
ohne einen Beitrag zur Verbesserung der Kriminalitätsprävention
zu leisten.
1. Zur geplanten
Erweiterung der Videoüberwachung, § 15 a PolG NRW
Die Überwachung öffentlicher Plätze mittels Videokameras
ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte praktisch ausnahmslos
unbescholtener Bürgerinnen und Bürger. Bereits das Vorhandensein
der Kameras ist wegen der durch sie hervorgerufenen Unsicherheit, ob ein
Verhalten behördlich registriert wird, einen Grundrechtseingriff.
Durch die Kameras und die damit verbundene öffentliche Beobachtung
wird Konformitätsdruck erzeugt, der geeignet ist, die Bürgerinnen
und Bürger von der Ausübung ihrer Grundrechte, z.B. von der
Teilnahme an Versammlungen, abzuhalten.
Nach den Plänen der SPD soll die Videoüberwachung nunmehr nahezu
schrankenlos ermöglicht werden. Die Beschränkung auf "Straftaten
von erheblicher Bedeutung" wird aufgegeben.
Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze und insbesondere
der Innenstädte breitet sich in Deutschland aus wie ein Ölteppich
(Leipzig, Mannheim, Stuttgart, Dresden, Berlin, Frankfurt, Freiburg, Halle,
Hamburg, Kassel, Köln, Magdeburg, Regensburg). Die Realisierung der
Pläne der SPD-Führung würden dieser Entwicklung den Weg
nach NRW ebnen.
Es gibt keinen Beleg für den behaupteten Nutzen dieser Maßnahme
zur Verringerung der Kriminalität. Eine im Auftrag der Regierung
von Großbritannien - dem Land mit der weltweit höchsten Videoüberwachungsdichte
- erstellte wissenschaftliche Studie (NACRO) kommt zu dem Ergebnis, dass
die Videoüberwachung zu keinem signifikanten Rückgang der Kriminalität
geführt hat. Die Anbringung einer verbesserten Straßenbeleuchtung
trage zur Kriminalitätsverhütung mehr bei als diese grundrechtsbeeinträchtigende
Maßnahme.
Ebenso erfolglos verlief auch der inzwischen abgebrochene Modellversuch
einer Videoüberwachung in Bielefeld (vgl. z.B. Presseerklärung
des FoeBuD, Bielefeld, vom 18.07.2002; Presseerklärung B90 / Die
Grünen, Kreisverband Bielefeld vom 18.07.2002).
Die Videoüberwachung ist nicht zur Kriminalitätsvorbeugung geeignet,
wohl aber dazu, etwa soziale Randgruppen aus den Innenstädten zu
vertreiben. Das kann aber kein legitimes Ziel sozialer und demokratischer
Politik sein.
2. Zur geplanten
Erweiterung der Rasterfahndung, § 31 PolG NRW
Die Rasterfahndung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte
zahlloser Unschuldiger und Unverdächtiger dar. Allein in NRW wurden
im Zuge der polizeilichen Rasterfahndung nach dem 11. September 2001 die
Daten von 5 Mio. (!) Männern erhoben. Trotz dieser enormen Grundrechtseingriffe
hat diese Maßnahme selbst bundesweit in keinem einzigen Fall zu
einem Fahndungserfolg geführt. Es ist unverständlich, warum
die SPD dieses ineffiziente, ungeheuer teure und aufwändige polizeiliche
Mittel nunmehr auch noch ausweiten will. Die SPD-Führung scheint
für symbolische, aber grundrechtsbeeinträchtigende Maßnahmen
trotz angespannter Haushaltslage kein Preis zu hoch zu sein.
3. "Vorgaben
der Rechtsprechung"?
Unzutreffend ist es, wenn die SPD-Spitze behauptet, die von ihr geplanten
Verschärfungen des Polizeigesetzes stellten eine "Anpassung
an Vorgaben der Rechtsprechung dar." Richtig ist vielmehr, dass Gerichte
(namentlich das OLG Düsseldorf und das OLG Frankfurt) die Rasterfahndung
weitgehend für rechtswidrig erklärt haben. Das Vorgehen der
SPD dient nicht der "Anpassung an Vorgaben", sondern ist der
Versuch, die gerichtliche Kontrolle künftig durch die Streichung
einschränkender Voraussetzungen auszuschalten.
Die wirklichen "Vorgaben der Rechtsprechung" lauten dagegen
wie folgt:
"Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
zu beachten. Die Grundrechte dürfen als Ausdruck des allgemeinen
Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat nur soweit
beschränkt werden, als es zum Schutz öffentlicher Interessen
unerlässlich ist." (Bundesverfassungsgericht, Amtl. Sammlung,
Band 65, S. 44).
Von der Beachtung dieser Vorgaben verabschiedet sich die SPD-Spitze durch
die beabsichtigte Streichung nahezu sämtlicher einschränkender
Voraussetzungen der genannten Grundrechtseingriffe.
Eine rationale Kriminalpolitik
wird hier durch "populistisches Fuchteln mit untauglichen Instrumenten"
ersetzt, wie die Humanistische Union in ihrer Pressemitteilung vom 15.01.2003
mit Recht feststellt.
Die Position der SPD-Spitze widerspricht zudem dem Beschluss der Arbeitsgemeinschaft
Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen vom 09.04.2003, die das
Gesetzesvorhaben ausdrücklich abgelehnt hat.
Die Pläne der SPD widersprechen dem Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz
der Grünen vom 23.05.2003 in Düsseldorf, die sich mit 2/3-Mehrheit
ebenfalls ausdrücklich gegen die geplante Gesetzesänderung ausgesprochen
hat.
Im übrigen hat sich nicht nur die Landesbeauftragte für den
Datenschutz mehrfach und ausdrücklich gegen dieses Vorhaben gewandt,
es stieß in einer Anhörung vor dem Innenausschuß (am
16.1.2003) auch bei zahlreichen Sachverständigen auf Kritik.
Wir fordern daher
die Vertreter der Grünen wie der SPD in den Koalitionsgesprächen
für NRW auf, sich den undurchdachten und populistischen Vorschlägen
zu verweigern und für die Bewahrung der Bürgerrechte einzutreten.
6. Juni 2003
Erstunterzeichner/innen:
Rena
Tangens & padeluun |
FoeBuD
e.V., Bielefeld - www.foebud.org,
Big Brother Awards Deutschland - www.bigbrotherawards.de
|
Dr.
Thilo Weichert, Karin Schuler, RA Sönke Hilbrans |
Deutsche
Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) - www.aktiv.org/DVD/ |
Nils
Leopold und Dr. Fredrik Roggan |
Bundesgeschäftsführer
Humanistische Union - www.humanistische-union.de
|
Prof.
Dr. Hans Lisken |
Düsseldorf |
Dr.
Helmut Pollähne |
Bremer
Institut für Kriminalpolitik |
RA
Dr. Rolf Gössner |
Präsident
der Internationalen Liga für Menschenrechte, Berlin |
Dr.
Holger Niehaus, Wilhelm Achelpöhler und Carsten Peters |
AG
Demokratie und Recht, B90/Die Grünen (Kreisverband Münster)
- www.gruene-muenster.de
|
Klaus
Rees |
Fraktionsgeschäftsführer
B90/Die Grünen, Bielefeld |
Björn
Josten, Karolin Knoth, Pascal Hase, Matthias Lehnert, Christian Walburg,
Thilo Scholle, Jelena Wachowski und Christoph Blaschke |
Kritische
Juristinnen und Juristen (BAKJ), Münster |
Thomas
Marczinkowski |
Fraktionsgeschäftsführer
B90/Die Grünen, Münster |
Dr.
Norbert Reichling |
Vorstandsmitglied
Bündnis90/Die Grünen, OV Dorsten |
Prof.
Dr. Jürgen Seifert |
Hannover,
Mitglied der Kommission nach Artikel 10 Grundgesetz des Deutschen
Bundestages |
RA
Wolfgang Kaleck |
Vorsitzender
des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins www.rav.de/ |
RA
Hannes Honecker |
Geschäftsführer
des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins www.rav.de |
Prof.
Dr. Edda Weßlau |
Universität
Bremen, Bremer Institut für Kriminalpolitik |
Carmen
Oschmann |
Journalistin,
Stiftung Demokratie, Saarbrücken |
Ralf
Briese, MdL |
Rechtspolitischer
Sprecher, Bündnis90/Die Grünen, Niedersachsen |
Klaus
Thommes |
Sprecher
des Bundesfachausschusses
der Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte
in ver.di |
Silke
Stokar |
Innenpolitische
Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen |
Kai
Claaßen |
Politikwissenschaftler |
Markus
Beckedahl |
Vorsitzender
Netzwerk Neue Medien
e.V. |
|
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(Unterschriften
zuletzt aktualisiert am
25.06.2003
)
www.foebud.org/texte/aktion/videoueberwachung/
www.datenschutzzentrum.de/material/themen/video/
www.big-brother-award.de/2002/.local/
www.gruene-muenster.de/
gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/files/LDK/LDK_D_sseldorf/Buergerrechte.rtf
www.nrwspd.de/db/docs/doc_1896_200357171125.pdf
V.i.S.d.P.:
Rena Tangens, FoeBuD e.V., Marktstr. 18, 33602 Bielefeld.
Tel:
0521-175254 Fax: 0521-61172
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