Neue Westfälische,
Nr. 125, Dienstag, 3. Juni 1997
Bruno Jehle sprach im Bunker Ulmenwall
über Geld – und wie es ohne geht.
Ohne Moos nichts los! Von Anke Groenewold Bielefeld. Alle brauchen es, alle wollen es, und die meisten haben davon zu wenig: Geld. Sprichwörtlich regiert es die Welt. „Geld ist das Betriebssystem unserer Zivilisation", betonte Bruno Jehle von der Schweizerischen „Initiative für natürliche Wirtschaftsordnung" im Bunker Ulmen-wall. Als Diskussionsthema sei das Geld jedoch tabuisiert und werde nicht kritisch hinterfragt. Jehle ist einer der Initiatoren des „Talent"-Expe-rimentes, an dem im schweizerischen Aarau momentan 800 Personen teilnehmen. Ähnliche Versuche gibt es in Kanada, England, Australien und – in Bielefeld. „Talent" ist eine lokale, zinsfreie Zweitwährung. Es gibt weder Münzen, Scheine oder andere greifbare Objekte, die unter den "Talentier-ten" hin und her wandern. Das Experiment beruht auf dem zeitversetzten, geldlosen Austausch von Waren und Dienstleistungen. Zu Beginn steht der Kontostand jedes Teilnehmers auf Null; Mäht Person A für Person B den Rasen, bekommt A den vereinbarten Preis von angenommen 30 Talent gutgeschrieben. B's Kontostand weist nun ein Minus von 30 Talent auf. A kann jetzt etwas kaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch nehmen. B muß dafür sorgen, seinen Konto-stand durch ein eigenes Angebot wieder auszugleichen. Wer zuviel gehortet hat, muß sein Guthaben wieder in Umlauf bringen. Wer ein Limit von 700 Talent Schulden erreicht hat, darf nicht mehr „kaufen". Der große Unterschied zum normalen Bankkredit: Für die Schuldner fallen keine Zinsen an. Außerdem sind alle Konten transparent, können also von jedem Mitglied des basisdemokratisch organisierten Kreises eingesehen werden. Dies sei ein Weg, um das Prinzip Verantwortung in den lokalen Finanz-markt einzuführen, so Jehle. Ein ähnliches Projekt gibt es seit einem Jahr auch in Bielefeld: Knapp 100 Menschen sind im Tauschring „Zeit.Punkt" aktiv. Sie bieten Fähigkeiten oder Hilfen an, nehmen sie in Anspruch oder tauschen untereinander Waren. Der Transfer von Dingen und Dienstleistungen ist geldlos, beruht auf individuellen Abmachungen und wird in Punkten abgerechnet. Die Gründung des Tauschrings ist eine Reaktion darauf, daß immer mehr Menschen immer weniger Geld zur Verfügung haben. „Außerdem werden Talente gefördert, die auf dem, regulären Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt sind, darunter Rentner, Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose", wie Maria Speich unterstrich. Der Tauschring diene aber nicht nur dazu, grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen, sondern trage auch dazu bei, daß der Mangel an Geld nicht zwangsläufig ausgrenze und in die Isolation führe. Hier setzt auch Bruno Jehle an, der das
„Talent"-Experiment in erster Linie als eine Aufforderung betrachtet, über
die grundlegenden Mechanismen der Geldwirtschaft und den be- herrschenden
Stellenwert der „Kohle" in unserer Gesellschaft nachzudenken. Aus diesem
Grund betrachtet Jehle „Talent" weniger als klassisches Wirtschaftsexperiment,
sondern als Anstoß für eine kulturell, philosophisch und politisch
ausgerichtete Debatte. Zinsen und Verschuldung sieht Jehle als die Grund-übel
des derzeitigen Finanzsystems, dem er einen Kollaps prophezeite. Schon
jetzt sei absehbar, daß die Staaten ihre Verschuldung nur noch dadurch
auffangen könnten, indem sie soziale Leistungen radikal kürzten,
was auf lange Sicht zu Unruhen führen würde. „Die Geldmärkte
steuern immer stärker, während gleichzeitig der Einfluß
der Politik immer schwächer wird", so Jehles These. In dieser kritischen
Situation sei es wichtig, Freiräume zu schaffen, um über Alternativen
nachzudenken, neue Modelle auszuprobieren und den Sinn des Geldes neu zu
definieren.
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