Fast niemand kennt sie, aber sie kennt Millionen. Sie hat mehr sensible Daten ueber viele Buerger als das Finanzamt. Sie ist im Bilde ueber deren Lebensstil, ueber ihre Lieblingsfarbe und manchmal auch ueber die Vorlieben beim Sex. Sie weiss, wohin sie jedes Jahr in den Urlaub fliegen, welches Auto sie fahren und wie hoch ihr Dispo ist bei der Bank um die Ecke. Die Firma Electronic Data Systems Corporation (EDS) aus Plano, Texas, ist besser informiert als jede andere private Institution auf diesem Planeten. Kein Staat der Welt hat so viele Informationen ueber seine Buerger gespeichert. Und keine Rasterfahndung waere in der Lage, ein derart genaues Persoenlichkeitsprofil zu erstellen. Nicht der Staat pumpt sich zu einem allwissenden, alles kontrollierenden Monster auf, wie Orwell vermutet hat. Es sind eher ein paar private Firmen.
Das liegt daran, dass der Mensch die relevantesten Datenspuren heutzutage weder bei der Steuerbehoerde noch bei der Volkszaehlung hinterlaesst, sondern in den Computern der Versandhaeuser und Fluggesellschaften, der Banken, Versicherungen und Mietwagenfirmen. Viele dieser Unternehmen lassen ihre Daten mittlerweile von sogenannten Outsourcern verwalten. Das sind eigenstaendige Firmen, die fuer den betreffenden Grosskunden Rechner installieren, Programme eingeben und Informationen verwalten. Sie sorgen fuer eine effektive und professionelle Gestaltung der EDV, stellen meistens das Personal und sind ueber Standleitungen mit einem eigenen Rechenzentrum verbunden.
Fuer die Unternehmen macht diese Praxis Sinn, weil Outsourcer billiger arbeiten als jede betriebseigene EDV, alle Dienstleistungen aus einer Hand kommen und die noetigen Ausgaben langfristig planbar sind. Die Outsourcer verdienen ihr Geld mit der Zentralisierung der Datenverarbeitung, mit Einkaufsvorteilen durch Grossabnahme, eigener Software und Netzdiensten und einer extrem straffen inneren Organisation. Einen immer groesseren Teil ihres Gewinns verdankt die Branche zudem der Management-Beratung ihrer Kunden.
Eine der maechtigsten dieser Firmen ist EDS. Sie wurde 1962 von dem amerikanischen Milliardaer Ross Perot gegruendet und 1984 an General Motors verkauft. Heute liest sich ihre Kundenliste wie das Who's who des ganz grossen Geschaefts. Apple gehoert dazu, American Express und Xerox, und wer einen Opel kauft, teilt EDS ungewollt seine Lieblingsfarbe und seinen Lebensstil mit. Genauere Daten werden dann beim Bezahlen mit der American-Express-Karte nachgereicht.
Wer eine Flugreise bucht, landet im Rechner der EDS, weil die Daten aus dem weltweiten Flugbuchungssystem Amadeus dort verarbeitet werden. Auch die Deutsche Lufthansa hat ihre gesamte EDV inklusive einer 25-Prozent-Beteiligung an der dazugehoerigen Tochter Lufthansa Systems dem Datenmulti uebertragen.
In Grossbritannien bearbeitet EDS bereits die komplette Datenverarbeitung der Steuerbehoerde, sie verwaltet Daten der staatlichen Gesundheitsfuersorge und ist Marktfuehrer im Bereich Klinik-EDV und arbeitet sich immer mehr bei den oeffentlichen Verwaltungen vor. In Suedaustralien hat EDS sogar die komplette Datenverarbeitung der Regierung einschliesslich 140 Unterorganisationen bis zum letzten Buergermeister-PC uebernommen.
Bei der Breitbandverkabelung im Osten Deutschlands ist EDS bereits dabei, in den USA beliefert sie 700 000 Hotelzimmer ueber Satellit mit den Wunschprogrammen der Gaeste. Dieses Know-how kommt wiederum Videotel zugute, an der EDS zu 25 Prozent beteiligt ist. Weitere Telekom-Projekte stehen auf ihrem Wunschzettel.
Der unheimliche Datenmulti plant seine Aktivitaeten wie einen militaerischen Feldzug: Zuerst werden moegliche Kunden ausgespaeht und dann ein Mitarbeiter angesetzt, der nichts anderes zu tun hat, als den kuenftigen Partner weichzuklopfen - selbst wenn es mehrere Jahre dauert. Dabei werden die angepeilten Unternehmen genau untersucht und die Eigenschaften, Ziele und Ansichten der Fuehrungskraefte ermittelt.
Weil der Markt derart lukrativ ist, tummeln sich darin noch andere Firmen. Die IBM-Tochter ISSC betreut ein vergleichbar grosses Marktsegment wie die Texaner. Auch die Daimler-Benz-Tochter Debis erwirtschaftet einen aehnlichen Umsatz, allerdings mit weniger prominenten Kunden. All diesen Firmen ist gemeinsam, dass in ihnen ein gigantischer Datendschungel wuchert, gegen den Datenschuetzer auf verlorenem Posten stehen. Meistens gelingt es nicht einmal, die Wege der Daten ueberhaupt nachzuvollziehen. Und falls doch mal einer durchblickt, wird die heikle Informationsverarbeitung einfach ins datenschutzfreie Ausland verlagert. Technisch ist das jedenfalls kein Problem.
Das funktioniert dann wie bei den drei Millionen BahnCard- Besitzern in Deutschland: Ihre Daten werden in Nordhorn bei der Citicorp Card Operations GmbH erfasst, die digitalisierten Passbilder wandern zusammen mit dem Antragsformular ueber eine Standleitung zum Rechenzentrum der Citibank in den Vereinigten Staaten. Hier erstellen Ingenieure, nach einer Bonitaetspruefung, die eigentliche BahnCard und schicken sie weiter nach Arnheim in den Niederlanden. Dort wird der Plastikausweis versandfertig in die Post gegeben.
Kaum einer hat da noch den Ueberblick, kein uebergeordnetes Organ die Kontrolle. Und niemand kann mit Gewissheit sagen, welche Daten von wem wo gespeichert sind.
Scheinbar harmlose Datensammlungen koennen so zu neuen Informationspaketen verdichtet werden. Die einzige Sicherheit des Kunden ist die Beteuerung solcher Firmen wie EDS, in Europa den dort gueltigen Datenschutz zu respektieren.
In den USA dagegen ist EDS schon weiter: Da betreibt man das Computersystem der Einwanderungsbehoerde, das Grenzueberwachungsnetz, die automatische Fingerabdruck- Identifizierung und alles, was fuer die Erstellung der Green Card notwendig ist. Auch die Nationale Luftfahrtbehoerde FAA, die Datenbank der Militaerangehoerigen, ein paar Krankenkassen und etliche Sozialprogramme verlassen sich auf EDS.
Mit der aus europaeischer Sicht erschreckenden Vernetzung von Daten gelingt es beispielsweise, saeumige Alimentenzahler oder Falschparker zur Kasse zu bitten.
Das hat bereits spuerbar die Zahlungsmoral der Amerikaner erhoeht: Allein in einer Stadt wie Boston stiegen die Einnahmen um 50 Millionen Dollar pro Jahr.