Hamburger Rundschau Nr.12 - 16. März 1995
Sie sind unkonventionell, dezentral und kostengünstig. Ihre Interessenten versorgen sie mit Informationen aus der Antifa-Szene und der Kommunalpolitik, aus der Welt der Freien Liebe und der Gewerkschaften. Sie diskutieren über Männer, Menschenrechte und sonstige Utopien und werden von MailBox-Betreibern wie amnesty international, Greenpeace oder den Grünen über die politischen Entwicklungen und geplanten Aktionen informiert. Die Rede ist von den bürgernahen Netzwerken CL-Netz, Z-Netz und dem Frauen-Datennetz FemNet. Im Unterschied zu kommerziellen On-Line-Netzwerken wie CompuServe oder Datex-J sind die MailBoxen demokratisch strukturiert, politisch orientiert und darüber hinaus äußerst billig.
Alles was der Mensch braucht, ist ein funktionstüchtiger PC mit serieller Schnittstelle, gleich welchen Baujahres, ein Telefon, ein Modem und eine Kommunikations-Software, die den Zugang zum On-Line-System ermöglicht. Das Frauennetzwerk FemNet bietet eine kostenlose Share-Ware - der Zusatzkauf einer speziellen Software entfällt.
MailBoxen sind wie Zeitungen organisiert. Der Anwender kann unter verschiedenen Themen (im Computer-Jargon Bretter genannt) wählen und die darunter gespeicherten Diskussionsbeiträge und Informationen per Mausklick auf seinen heimischen Computer holen. Er kann jedoch auch selbst Beiträge verfassen, die er als E-Mail (elektronische Nachrichtenpost) verschickt und unter dem entsprechenden Thema ablegt. Damit ist der Text allen interessierten Lesern zugänglich - entfacht sich eine Diskussion, landen die Repliken in der persönlichen E-Mail-Box des Verfassers. Netzwerke sind interaktiv, und das in Sekundenschnelle - ein entscheidener Vorteil gegenüber Zeitungen, Pressetexten und den Briefen per Post.
Jeder kann mit jedem kommunizieren - allerdings nur unter seinem richtigen Namen. So kann nicht ein und dieselbe Person unter verschiedenen virtuellen Persönlichkeiten durch das Netz geistern oder sogenannte flames - beleidigende und obszöne Anmachen bestimmter Teilnehmer - losschicken.
Das Computernetzwerk Linksysteme (CL) - eine Anspielung auf das englische Wort to link - verbinden wie auf die politische Ausrichtung - wird von Bürgerinitiativen, Frauen und Menschenrechtsorganisationen genutzt. Jede Organisation, aber auch jeder Privatmensch mit entsprechendem Know-how und Ausstattung kann eine MailBox eröffnen und betreiben - allerdings ist ein solches Unternehmen zeitaufwendig und kapitalintensiv. Es lohnt sich daher nur für Organisationen mit finanziellem und personellem Polster. Alle anderen Teilnehmer können sich jedoch als User an die nächstgelegene MailBox (Einwählknoten - Provider) vor Ort einlocken und das Netzwerk mitgestalten - im Unterschied zu kommerziellen Anbietern bestimmen die Betreiber und User das Niveau und den Inhalt ihres Netzwerkes selbst. Die monatliche Teilnehmergebühr kostet zehn Mark, ermäßigt gar nur fünf Mark. Das noch im Aufbau befindliche FemNet, das nur von Frauen genutzt werden kann, ist dagegen schon etwas teurer: Da es erst fünf MailBoxen in fünf Städten gibt, beträgt die jährliche Gebühr für Privatfrauen 150, für Frauenprojekte 240 Mark. Dafür aber bieten die Frauen Infos und Austausch zu Themen wie Arbeit und Ausgehen, Kultur und Medien, Umwelt und Wissenschaft sowie eine E-Mail-Adresse, über die frau weltweit erreichbar ist.
Während Großverlage, Medienkonzerne und Unternehmen mit Hochdruck an der Kommerzialisierung der Datennetze arbeiten, wollen die Tüftler und Computerfreaks der bürgernahen Netzwerke vor allem eines: Allen interessierten Menschen zu erschwinglichen Preisen den Zugang zu den neuen Kommunikationsformen ermöglichen. Die dezentrale Struktur des On-Line-Systems reicht im CL-Netz von Norddeutschland über Österreich bis nach Norditalien, Ex-Jugoslavien und der Türkei - niedrige Preise und kleine, gleichberechtigte Einheiten, die die Informationen unzensiert und ungefiltert weiterleiten, sind garantiert. Ein Info-Kartell, das den Rohstoff "Information" nach eigenem Gutdünken zurückhält, redigiert oder mit Gebühren belegt, ist nicht möglich.
Der eigentliche Messe-Hit auf der CeBIT: das geplante Mediencafe, Raststätte an der Datenautobahn. Zu Kaffee und Kuchen gibt es gewünschte On-Line-Informationen gratis dazu. So kann auch der Laie ohne Know-How und ohne kostspieligen PC samt Zubehör am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Computer und Computerfreaks stehen bereit, auch on-line-unerfahrene Menschen in die Geheimnisse des Netzwerkes einzuweisen. Darüber hinaus sollen Vortrage und Einführungen über die neuen Kommunikationstechnologien gehalten werden.
Das erste Mediencafe dieser Art soll in Bielefeld entstehen. Sponsoren werden allerdings noch gesucht.
Wer noch "off-line" ist und gern an einem der Netzwerke teilnehmen möchte, wende sich an folgende Organisationen: