Stadtblatt 12 - 16.3.1995 S.7
Die CeBIT war da. Unübersehbar, unüberhörbar, eben Multimedia. Zeitungen schrieben die Informations-Society (Informationsgesellschaft) herbei, Nachrichtensendungen bejubelten den Informations-Highway (Datenautobahn). Der Rummel um die CeBIT hat sich wieder gelegt, doch die Schlagwörter sind geblieben und mit ihnen die Frage: Was verbirgt sich dahinter?
Beispiel Informations-Highway (Datenautobahn). Die vom amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore so getaufte Datenautobahn ist noch nicht vollständig befahrbar, durch den europäischen Vorläufer ISDN (dienstintegrierendes digitales Kommunikationsnetz) fluten hingegen schon heute die Informationen. Mit ISDN lassen sich enorme Datenmengen (128 kBits pro Sekunde, das entspricht fünf Schreibmaschinenseiten pro Sekunde) übertragen. Videokonferenzen mit ruckelfreien Bildern sind damit möglich. Vorbei die Zeiten also, in denen die Telekom Geräte als Bildtelefone präsentierte, die in der Bildfrequenz an Diashows erinnerten.
Die wahren Schnellstraßen für Daten sind jedoch die Glasfasern. Ein einziges Glasfaserpaar überträgt gleichzeitig 30.000 Telefongespräche. Allein in Ostwestfalen-Lippe verbuddelte die Telekom bislang 2460 Kilometer Glasfaser, fast ein Viertel davon in Bielefeld und näherer Umgebung. Telefonverbindungen zwischen zum Beispiel von Bielefeld nach Herford, laufen schon jetzt über Glasfasern. Auch Krankenhäuser, Rechenzentren oder Bibliotheken sollen per Glasfaser vernetzt werden. Dienste wie Video-on-Demand (bei einem zentralen Anbieter Filme bestellen, die dann via Kabel ins Haus geliefert werden), Teleshopping oder Computerspiele würden ohne Glasfaser gar nicht erst funktionieren.
Der einfache Bürger jedoch benötigt für die meisten ihm zugänglichen Anwendungen weder ISDN noch Glasfasertechnik. Ausgestattet mit PC, Modem und normalem Telefonanschluß steht schon jetzt jedem die Tür zur schönen neuen Datenwelt offen. Wer sich diese Grundausstattung nicht leisten kann, muß leider draußen bleiben. Die soziale Ausschlußgrenze liegt bei etwa 2000 Mark.
Der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen beweg ten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) fordert daher, daß öffentliche Netzwerkzentren geschaffen werden. Diese sollen kostenlos von jedem Bürger genutzt werden können. FoeBuD selbst geht hier mit gutem Beispiel voran: In den eigenen Räumen, Marktstraße 18, befinden sich öffentliche Terminals der FoeBuD eigenen MailBox BIONlC. Sie bietet in erster Linie Zugang zu lokalen, nationalen und internationalen Foren (Brettern) sowie den Internet Basisdiensten News und E-Mail.
Das Besondere an freien Bürgernetzen ist, daß sie dezentral und ohne Kontrollinstanz organisiert sind. Der Zugang ist einfach, lokale Diskussionen sind möglich. Der gemeine Benutzer (im Fachjargon: User) kann unkontrolliert schreiben und lesen was er will, Ist somit gleichzeitig Konsument und Produzent von Information. Brechts Radiotheorie findet sich hier verwirklicht. Grundsätzlich könnte sogar jeder seine eigene Mailbox aufmachen und Teil des Z-Netzes werden.
Hauptbenutzer freier Bürgemetze sind weniger Computerfreaks, als vielmehr Umweltschützer, Bürgerinitiativen und andere politische Vereinigungen. Ihnen kommt die dezentrale und nichthierarchische Struktur dieser Netze sehr entgegen. Der vielbemühte und ebenso ausgelutschte wie wahre Slogan global denken, lokal handeln findet hier seine Infrastruktur. Bürgemetze mit ihrer anarchistischen Struktur können den politischen Diskurs fördern, weil sie auch finanziell schwachen Gruppen die Möglichkeit zum Aufbau einer Öffentlichkeit geben. User von BIONIC müssen neun Pfennig pro Minute, einen monatlichen Mindestverbrauch von 15 Mark vorausgesetzt, berappen. E-Mails kosten, je nach gewünschter Geschwindigkeit und Zieladresse, zwischen zehn Pfennig und drei Mark. Hinzu kommen Telefongebühren in Höhe des Ortstarifs.
Anders sieht das bei kommerziellen Online-Diensten, wie zum Beispiel bei CompuServe der amerikanischen Firma H&R Block, aus. Ortstarif-Auffahrten gibt es zur Zeit nur in Ballungsräumen; vier aus zehn sind Berlin, Hamburg, München und Köln. Weitere Auffahrten sind geplant. Bislang jedoch setzt Wohnen in der Provinz ein gelassenes Verhältnis zur Telefonrechnung voraus. Hinzu kommt eine monatliche Grundgebühr von 16 Mark. Geboten werden dafür über hundert Basisdienste, wie E-Mail, Fax, das Bertelsmann Universallexikon, der 24-Stunden-Ticker der Deutschen Presseagentur, Wetterberichte, HealthNet (medizinische Datenbank), Spiele, ... »Unterhaltung wird bei CompuServe großgeschrieben.«, so die Werbung. Wohlgemerkt: Nicht Kommunikation, sondern Unterhaltung. Denn genau da liegen Markt und Mark.
Diskussionsforen gibt es zwar auch, sie werden allerdings von Moderatoren kontrolliert. Äußert sich jemand unflätig oder rechts widrig, wird er verwarnt und beim nächsten Vergehen aus der Diskussion ausgeschlossen. Dennoch versichert Nikolai Zotow, Produkt-Manager bei CompuServe: »Wir zensieren nicht.« So oder so: Diskussionsforen stellen ganz klar nicht das Hauptangebot dar. CompuServe selber charakterisiert sich als »Informationspool«.
Online Dienste wie CompuServe sind eine, wenn nicht gar die Wachstumsbranche. Der Gütersloher Medienriese Bertelsmann stieg bereits mit seiner Beteiligung an America Online in den Info-Boom ein, das Verlagshaus Burda wird noch in diesem Jahr mit Europe Online auf den Markt drängen. Und der wächst. In den nächsten Jahren wird die potentielle Nutzerzahl von Online-Diensten in Europa auf rund 40 Millionen ansteigen, schätzt Verleger Hubert Burda. Bereits jetzt hat CompuServe weltweit 2,6 Millionen Nutzer, davon 90.000 im deutschsprachigen Raum, fur den Telekom Dienst Datex-J (vormals BTX) zahlen immerhin 700.000 Teilnehmer Gebühren und America Online vermeldete 2 Millionen User - bei einem Plus von 500.000 innerhalb der letzten sechs Wochen. Das nichtkommerzielle Internet ist dabei das Netz der Netze: Die weltweite Teilnehmerzahl wird auf rund 30 Millionen geschätzt, aber genau kann das aufgrund der dezentralen Struktur keiner sagen. Sicher ist: Immer mehr Nutzer drängen ins Internet. Bis zum Jahr 1999 soll die Zahl auf 200 Millionen steigen, so die Marktforscher.
Daß diese Entwicklung nicht spurlos an der Gesellschaft vorbei gehen kann, ist klar. Zu Hause am PC zu arbeiten und nur via Datenleitung mit dem Betrieb verbunden zu sein (Telearbeit), könnte Alltag für viele Arbeitnehmer werden. Dabei sind die Nebenwirkungen noch kaum erforscht. Willi Vogts, Bezirkssekretär der IG Medien, sieht jedoch noch keinen dringenden Handlungsbedarf: »In der Zeitachse, die wir heute überschauen können, wird sich Telearbeit in Deutschland nicht so durchsetzen, wie in anderen Ländern.« Mitte des Jahres werden IG Medien und Postgewerkschaft genaue Positionen zur Telearbeit erarbeiten. Das dringendste Problem ist dabei die soziale Isolation von Telearbeitern. Ein gesetzlicher Rahmen für die schöne neue Datenarbeitswelt fehlt bislang.
Kontakt: FoeBuD,