In der Bielefelder Marktstraße liegt das Nichts. Damit jedoch in der Häuserzeile keine peinliche Lücke klafft, haben Rena Tangens und padeluun genau unter der Hausnummer 18 eine Galerie installiert: Art D'Ameublement, »Deutschlands einzige und beste Galerie für modernste Kunst« - eine Galerie für die »neuen Bürgerinnen«. Seit 1984 findet man hier in verschiedenen Ausprägungen die Simulation einer Bürolandschaft vor, die für Nichteingeweihte wie ein Computerladen ausschauen mag, jedoch ein Dienstleistungsunternehmen ganz anderer Art ist. »Das ist nicht nur Theater«, versichert Rena Tangens schnell, »wir arbeiten schon richtig«. »Doch zu behaupten, wir seien ein Computerladen - damit kann man uns fertig machen« gibt Partner und Mitinhaber padeluun zu bedenken. Es geht um anderes.
Einen Hinweis auf die Hintergründe des seeigelgleich seine Stachein in alle Richtungen ausstreckenden Projektes gibt eine ihrer ersten gemeinsamen Aktionen: die 15 Stunden dauernde Aufführung von Eric Saties Klavierstückchen »Vexations«, das selbst nur eine Minute lang 840mal wiederholt wurde, und so nur den RAHMEN bot zur Simulation einer Cafehaus-Atmosphäre, in der sich die »Kunst«-Aktion bald von selbst auflöste und den Impuls zum Aktivwerden auf die aus ihrer Passivität befreiten Zuschauer übertrug. Die Leute begannen, selbst etwas zu tun.
»Wir verstehen uns also eher als Rahmenbauer für die Kunst anderer Leute«, führt padeluun aus. In den kreativen Wirren von Performance und IndependentMusik liefen sich die beiden über den Weg, um fortan gemeinsam daran zu arbeiten, die Kunst zum Aussterben zu bringen, denn solange sie noch nötig sei, wäre etwas falsch in der Welt. padeluun, der eher von der Medienarbeit kommt (»Überblick« in Düsseldorf, SOUNDS, SPEX) und Rena Tangens, die in ihrer kreativen Vergangenheit das Forum Enger mitorganisierte und Filmerfahrung hat, definierten fortan den Nullpunkt genau in der Bielefelder Marktstr. 18, um von hier aus ein vor Energie fast platzendes Netzwerk von »total vielen lustigen Leuten« zu aktivieren. Bewußt verlegten sie ihr Hauptquartier in die oft als von Ödnis gezeichnete und als kulturelle Diaspora gescholtene Provinz. An diesen Orten abseits der Metropolen sei nämlich rein gar nichts provinziell. Hier sei die Kreativität mit Neugier und Offenheit gepaart und das in Großstädten übliche »kurze Abgewichstwerden« durch selbsternannte Gurus, die Kunst für die eigene Bereicherung betrieben, entfiele in Städten wie Bielefeld. Ausfluß dieser Haltung der Kunst als Selbstbeweihräucherungs-Werkzeug gegenüber ist das Verdikt: »Keine FH-Studenten in diesen Räumen«.
Den zündenden Impuls, um von der Performance zum Personal-Computer zu desertieren, erhielten die beiden während der von ihnen 1985 organisierten Ausstellungsreihe »Interregionale Mehrwert Vorstellung«, in der der Hamburger Chaos Computer Club für ein Wochenende die Galerie zum Hacker-Quartier umfunktionierte. Die Beiden waren fasziniert von der Tatsache, daß so viele potentielle Kommunikationsleitungen durch simple Computerarbeit erstellt werden könnten und -machten sich an die Arbeit. Wieder gab es die Chance, einen Rahmen zu bauen, für eigene und die Kreativ-Ergüsse anderer Menschen. Die BIONIC-Mailbox war ein Ergebnis der Arbeit, die bis zur Organisation des Mailbox-Netzes Zerberus reichte. Eine wachsende Anzahl von Menschen klinkte sich fortan per Modem und Computer in diesen zutiefst demokratischen und auch subversiv-anarchischen Dialog über die »Bretter« ein. Weltweit kann man Kontakte aufbauen und »special interests« befriedigen und - noch unbehelligt von der Politik - seinen Hunger nach unabhängigen Informationen aus dem Umweltbereich stillen. Dieser herrschaftfreie Raum, der die Schwelle zwischen Akteur und Konsument aufzuheben vermag, ist nämlich nicht da, » sich gegenseitiges Einverständnis zu signalisieren«. Und so gehen Nachrichten und Meinungen ungefiltert hin und her, werden in die elektronischen Boxen geworfen und an die »Schwarzen Bretter« gepinnt oder abgerufen. Allmonatlich hat der »FoeBud e.V« (auch ein Kind der Beiden: der »Verein zur Förderung des öffentlichen und unbewegten Datenverkehrs«) einen ständigen Austauschkreis namens PUBLIC DOMAIN ins Leben gerufen: was im Bunker Ulmenwall anfangs den Ruch einer »Raubkopierer-Party« hatte, mauserte sich zum überegional beachteten Gipfeltreffen von Hackern, Cyberpunks, Programmierern, Umweitinteressierten und Kommunikationsspezialisten, die Speerspitze der Gruppe, die plötzlich doch wieder Kunst produzieren: Medienkunst, ob sie wollen oder nicht, entkommen sie nicht dem Rahmen, den Rena Tangens und padeluun ins Nichts gebaut haben, um Menschen zum Sprechen zu bringen.
Die beiden selbst sind in nächster Zeit wieder verstärkt auf der Suche nach »neuem, frischem Geld«, stolpern hie und da über die nicht geleerten Kulturetat-Töpfe der Kommunen (nur nicht über die der eigenen Kommune - Pfui, Bielefeld, hol dich der Zerberus) und präsentieren auf diversen Medienkunstschauen ihre allermodernste Kunst, bevor sie tot'ist.
[Klaus Vogt]