ULTIMO 6/95, S. 8 f.
1991 wußte Eric Bachmann schon, wie klein die Welt ist. Aber noch nicht, daß der nächste Weg von Zagreb nach Belgrad über Bielefeld führt. Der US-Amerikaner mit vorübergehendem Wohnsitz in Herford kam damals als Trainer für gewaltfreie Konfliktaustragung nach Sarajevo. Zu spät, der Krieg tobte schon, die Grenzen zwischen den sechs Teilstaaten Ex-Jugoslawiens wurden undurchlässig, die Post stellte den Betrieb ein, die Armeen durchtrennten die Telefonleitungen ... und Eric machte den Briefträger für Anti-Kriegsgruppen in allen Landesteilen. Bald war auch ein Fax-Relais-Dienst organisiert (via Amsterdam oder London) und dann fiel einem seiner Kontaktleute auf, daß Eric seine Dienstpost per E-Mail erledigte, über die "Bionic-MailBox" in Bielefeld.
Umgekehrt bemerkte die außerjugoslawische Computer-Welt, daß ein holländischer Friedensarbeiter in Zagreb, Netzname "Wam Kat", auf dem Internet ein privates elektronisches "Tagebuch von unten" führte. Und zufällig bekam Eric einen Job bei der amerikanischen "George Soros-Stiftung" (gegründet von einem von den Nazis verfolgten Ungarn, der es an der Wallstreet zum Milliardär brachte), die auf den Spuren des Philosophen Karl Popper hauptsächlich in Ost-Europa für eine "offene Gesellschaft" arbeitet. Die entwickelte gerade selbst ein EMail-System und so kam alles gut zusammen.
Und wurde "ZaMir". Das heißt in den meisten Sprachen der Gegend "für den Frieden" und verbindet kroatische Computerfreaks mit moslemischen Menschenrechtlern, serbische Friedensgruppen mit bosnischen Freunden - und dem Rest der Welt.
Dank finanzieller Unterstützung aus dem Westen (eine "Modems für Bosnien"-Sammelaktion war nicht so erfolgreich, weil die Telefonleitungen dort so schlecht sind, daß man schon modernste High-Tec braucht, um darauf sinnvoll arbeiten zu können) steht "ZaMir" nach drei Test-Jahren auf geliehenen Computern jetzt kurz davor, eine richtige Auffahrt auf die Datenautobahn Internet zu kriegen .
Bis dahin bleibt Bielefeld der Knoten im Netz, dessen meiste Teilnehmer immer noch nicht untereinander telefonieren können. Dafür berichtet dann ihr eigenes Staatsfernsehen über die "kriegstreibende Propaganda", die elektronisch ins Land geschmuggelt werde. Auch die Polizei beobachtet überall argwöhnisch die schon aus Selbstschutz strikt öffentlich abgewickelten »ZaMir«-Aktivitäten.
An manchen Häusern hängt sogar ein Plakat, das darauf hinweist, das hier für ein paar Stunden am Tag ein Computer an »ZaMir« angeschlossen ist. Das dient nicht nur dazu, den Spionage-Verdacht zu zerstreuen, sondern auch um die Anlaufstellen allen zugänglich zu machen, den Computer sind in Ex-Jugoslawien noch seltener als Telefone. Knapp 2000 »ZaMir«-User gibt es bisher, und jeweils bis zu 200 müssen sich eine Leitung teilen.
In Bielefeld hängt in der Markstraße 18 nur das Firmenschild des Bionic-Betreibers FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) dafür stehen im Keller 14 miteinander vernetzte Computer. Die rufen alle 2 Stunden in Zagreb, Belgrad, und Ljubljana an, holen von den Computern dort die neuesten Nachrichten ab und verteilt sie beim nächsten Anruf automatisch an ihre Empfänger. Das allein kostet etwa 3000 DM pro Monat, aber es ist billiger, von Bielefeld aus in Belgrad anzurufen, als von Belgrad aus in Ljubljana. Und man kommt besser durch. Sarajevo und Pristina werden dann aus dem Land selbst heraus angerufen, oder auf dem Umweg über Genf, und von dort gehen die Informationen (etwa 2000 KiloByte pro Tag. das sind ein paar hundert Schreibmaschinenseiten).
Die öffentlichen Teile dieser Datenflut werden in das internationale MailBox-Netz APC (Assoviation für Progressive Communivations) eingespeist, zwar in sprachlich getrennten Bereichen (für Albaner, Bosnier, Kroaten, Mazedonen, Ungarn, Serben und Slowenen), aber mit stetig wachsendem Nutzen für alle. Da fragte ein Unternehmer aus Amerika an, ob die Himbeeren in der Herzegowina noch wüchsen und er investieren solle, da suchten und fanden sich im Krieg verstreute Familienmitglieder, da organisierte sich ein transnationales Friedenscamp über den Draht, da finden sich durch die jeweiligen Staatsmedien ungefilterte Augenzeugenberichte von Kampfhandlungen. Verhaftungen und Demonstrationen, da holen sich die internationalen Hilfsorganisationen aktuelle Zustandsberichte aus den Regionen, und die unabhängigen Medien der Region (immerhin über 150, bis zur lokalen Fernsehstation) internationale Nachrichten ab ... und User in der ganzen Weit können mitlesen (vom Computerclub in Ottawa bis zum US-Verteidigungsministerium).
Auch die Gerüchte verbreiten sich schnell auf dem Draht-Weg in "CyberBosnien", wie es die "New York Times" gerade nannte. Sei es die Meldung, die amerikanische Kriegs-Flotte sei in Zagreb eingelaufen (das übernahmen sogar einige Nachrichtenagenturen, einmal) oder das zynische Schmankerl, ein Kroate habe das Netz lahmgelegt, weil er unbedingt das Baller-Computerspiel "Doom" haben wollte (steht hier auf dem Index) und aus der ganzen Weit Kopien kriegte bis zum Leitungszusammenbruch (sogar "Die Zeit" kolportierte das). Alles erfunden, findet Eric Bachmann, nachdem er von Bielefeld aus vergeblich im Netz nach echten Zeugen gesucht hat.
An dieser Stelle wird das virtuelle Jugoslawien wirklich global. Nicht nur als Hilfsdienst, sondern als Beispiel einer ebenso erschwinglichen wie demokratischen Kommunikation. "Computer kennen keine Nationalitäten, nur User" heißt es etwa, und weil Auseinandersetzung und Telefonleitung die körperliche Auseinandersetzung genauso verhindern wie das persönliche Treffen, müssen die vernetzten Friedensgruppen jetzt elektronische Abstimmungsprogramme entwickeln, um ihr System aus der Ferne gemeinsam zu handhaben. Damit sind sie weiter als das schnellere, teurere und kommerziell orientierte Internet.
Das liefert zwar (Abteilung Usenet, Konferenz soc.culture.croatia) auch Wam Kats Front-Tagebuch (von den Abo-Gebühren wird die E-Mail-Infrastruktur vor Ort ausgebaut), aber auch in den offenen Meinungs-Foren viel mehr Rassismus und Kriegstreiberei als "ZaMir". Finden jedenfalls Eric Bachmann und seine Freunde. Wer zwei Straßen weit gehen müsse, um an den Computer zu kommen, der benutze ihn schon nicht für Blödsinn. Sondern als Strohhalm zur Welt.
In Europa ist der ZaMir Zugang gebührenpflichtig, aber wenn man die Bionicer lieb bittet, spielen sie vielleicht in paar Beispiel-Mails in den offenen Bereich der Box.
Kontakt-Telefon 0521-175254, Modem: 0521-68000.