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Das E-Mail-Abo, ein alternativer Vertriebsweg?

Presse über's Netz

Die "Junge Welt", eine linkspolitische Tageszeitung, ist seit Juni '93 ist über E-Mail abonnierbar.

Weil es bislang fast keine Projekte dieser Art gab, entschloß sich Mailbox-Betreiber Carsten Wiegraevel aus Berlin, die linke Tageszeitung "Junge Welt" online anzubieten.

Zwar haben namhafte Tageszeitungen ihre Artikel schon teilweise im DATEX-J (BTX) angeboten, da aber der DATEX-J-Dienst nicht besonders benutzerfreundlich und außerdem nicht allen Lesern zugänglich war, sollte eine hier Möglichkeit gefunden werden, das eher kleine Blatt zunächst in Berlin einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Mittlerweile findet man die Junge Welt in einem Dutzend Mailboxen in deutschen Großstädten, wie zum Beispiel in der //BIONIC in Bielefeld und in der LINK-M München.

Sonntag bis Donnerstag nach Feierabend spielt das Sekretariat der "Neue Welt"-Redaktion die Berichte direkt in die Mailbox ein. Von dort aus werden diese per Datenanruf in alle anderen angeschlossenen Mailboxen übertragen.

Als einfache ASCII-Textdateien kann man sich die Artikel täglich online in der Mailbox durchlesen oder komprimiert auf seinen eigenen Computer überspielen und dort in Ruhe studieren.

Es ist zwar mittlerweile möglich, der Zeitung auch per Computer ein profssionelles Layout zu verpassen; zu Beginn des Projekts waren allerdings noch langsame 2400 bps-Modems verbreitet, so daß die für Grafikdateien typischen großen Datenmengen zusätzliche Kosten für den Anrufer bedeutet hätten. Außerdem sollen die Abonnenten möglichst nicht von einem bestimmten Computertyp abhängig sein - und ein universelleres Format als ASCII gibt es nicht.

In der Mailbox hat der Leser dann die Möglichkeit, einfache Recherchen anzustellen; er kann auch bestimmte Bereiche der Zeitung von vornherein aus seiner Sendung ausschließen, um nicht unnötig Daten zu übertragen.

Das sogenannte EMail-Abo kostet 14,80 DM im Monat. Für die Übertragung zahlt der Besitzer eines High-Speed-Modems höchstens eine Telefoneinheit, denn die Datenmengen beschränken sich auf 80-100 kB pro Ausgabe. Für das traditionelle Papier-Abo zahlt der Leser 45 DM (30 DM ermäßigt). Im Gegensatz zu den 26.000-27.000 Papier-Abos gibt es derzeit nur etwa 100 EMail-Abos, und der Computer verteilt automatisch an jeden Leser die aktuelle Ausgabe.

Damit sich Interessierte ein Bild dieses Angebots machen können, läßt sich eine Titelseite kostenlos in den Mailboxen abrufen (Username: jwtest, Passwort: jwabo).

Die Möglichkeit, eine einzelne Ausgabe zu kaufen, besteht jedoch in Deutschland aufgrund fehlender Infrastruktur noch nicht. Jedoch bietet die Mailboxsoftware "Geonet" bietet bereits Dienste an, die als "Netzgeld" bekannt sind. Dieses Netzgeld könnte man als "Maut für die Datenautobahn" bezeichnen (vgl. die Veranstaltung im CCC am 29.12. um 12:00 Uhr). Jeder Benutzer kann ähnlich wie im DATEX-J direkt Leistungen in Anspruch nehmen, die dann abgerechnet werden.

Derzeit ist dieses Projekt noch relativ alleine in der Szene, denn professionelle Redakteure haben leider von DFÜ wenig Ahnung und assoziieren den Begriff "Mailbox" spontan mit "Kinderpornographie" und "Nazisoftware". Bleibt abzuwarten, ob diese Entwicklung so bleibt, denn den Redakteuren und Verlagen würde auf diese Art auch ein direkterer Dialog mit den Lesern ermöglicht.

Christoph Haas <signum@torfhh.hanse.de>


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Stefan Kurtz,06.Jul.1995